Die Erfindung der Einsamkeit
der Erinnerung. Buch sieben.
Erster Kommentar zum Buche Jona.
Was einem unmittelbar auffällt, ist das merkwürdige Verhältnis dieses Buchs zu den anderen Prophetenbüchern. Dieses kurze Werk, das einzige, das in der dritten Person geschrieben ist, schildert Einsamkeit so dramatisch wie kein anderes Buch der Bibel, und doch scheint der Erzähler außerhalb dieser Einsamkeit zu stehen, als sei das «Ich», als es sich in die Finsternis dieser Einsamkeit stürzte, vor sich selbst verschwunden. Es kann daher nur in der Person eines anderen von sich selbst sprechen. Wie in Rimbauds Ausdruck «Je est un autre».
Jona ist nicht nur unwillig zu sprechen (wie zum Beispiel Jeremia), sondern er weigert sich geradezu. «Es erging das Wort Jahwes an Jona … Aber Jona machte sich auf, um vor Jahwe … zu fliehen.»
Jona flieht. Er geht auf ein Schiff und bezahlt das Fahrgeld. Ein schrecklicher Sturm kommt auf, und die Schiffer fürchten, sie werden untergehen. Doch Jona ist «in den untersten Teil des Schiffes hinabgestiegen; und er legte sich hin und schlief ein». Schlaf also als endgültiger Rückzug von der Welt. Schlaf als ein Bild der Einsamkeit. Oblomow, wie er sich, zusammengerollt auf seiner Couch, in den Schoß seiner Mutter zurückträumt. Jona im Bauch des Schiffs. Jona im Bauch des Wals.
Der Kapitän des Schiffes findet Jona und sagt ihm, er solle zu seinem Gott beten. Unterdessen haben die Matrosen das Los geworfen, um herauszufinden, wer von ihnen für den Sturm verantwortlich ist, «… und das Los fiel auf Jona.
… Und da antwortete er ihnen: ‹Nehmt mich und werft mich ins Meer, damit das Meer sich beruhige und von euch ablasse, denn ich weiß, dass um meinetwillen dieser große Sturm über euch gekommen ist.›
Aber die Männer legten sich in die Ruder, um ans Land zu kommen, aber sie vermochten es nicht, denn das Meer stürmte immer mächtiger gegen sie an …
Und so nahmen sie Jona und warfen ihn ins Meer, und das Meer ließ ab von seinem Toben.»
Ungeachtet der weitverbreiteten Legenden über den Wal ist der große Fisch, der Jona verschlingt, alles andere als ein Werkzeug der Zerstörung. Gerade der Fisch rettet ihn vor dem Ertrinken. «Die Wasser stiegen mir bis zur Gurgel, es umfing mich die Flut, Schilf wand sich um mein Haupt.» In der Tiefe dieser Einsamkeit, die gleichermaßen die Tiefe des Schweigens ist, als sei in der Verweigerung des Sprechens auch die Weigerung enthalten, sein Gesicht einem anderen zuzuwenden («Aber Jona machte sich auf, um vor Jahwe zu fliehen») – was besagt: Wer Einsamkeit sucht, sucht Schweigen; wer nicht spricht, ist allein bis hin zum Tode –, begegnet Jona der Finsternis des Todes. Uns wird erzählt, «Jona war drei Tage und drei Nächte im Bauche des Fisches», und an anderer Stelle, in einem Kapitel des Sohar , heißt es: «‹Drei Tage und drei Nächte›: Das bedeutet die drei Tage, die ein Mensch in seinem Grab liegt, ehe sein Bauch aufbricht.» Und als der Fisch Jona dann aufs trockene Land ausspeit, ist Jona dem Leben wiedergegeben, als wäre der Tod, den er im Bauch des Wales gefunden hatte, die Vorbereitung auf ein neues Leben gewesen, ein Leben, das durch den Tod gegangen ist, und folglich ein Leben, das endlich sprechen kann. Denn die Angst vor dem Tod hat ihm den Mund geöffnet. «Ich rief aus meiner Not zu Jahwe, und er erhörte mich; aus dem Schoß der Scheol schrie ich empor, du hörtest meine Stimme.» In der finsteren Einsamkeit des Todes wird ihm endlich die Zunge gelöst, und sobald er zu sprechen beginnt, bekommt er Antwort. Und selbst wenn keine Antwort käme, hat der Mann immerhin zu sprechen begonnen.
Der Prophet. Wie in dem Ausdruck «falscher Prophet»: sich in die Zukunft reden, nicht durch Wissen, sondern durch Intuition. Der wahre Prophet weiß. Der falsche Prophet mutmaßt.
Dies war Jonas größtes Problem. Wenn er den Einwohnern von Ninive Gottes Botschaft ausrichtete, er werde die Stadt wegen ihrer Gottlosigkeit in vierzig Tagen zerstören, dann würden sie bestimmt bereuen und daher verschont werden. Denn er wusste, Gott war «barmherzig, langsam zum Zorn und reich an Gnade».
«Die Männer von Ninive aber glaubten Gott und riefen ein Fasten aus und zogen Bußgewänder an, groß und klein.»
Aber würde sich Jonas Prophezeiung nicht als falsch erweisen, wenn die Einwohner von Ninive verschont würden? Wäre er dann nicht ein falscher Prophet? Daher das Paradoxon im Mittelpunkt des Buchs: Die Prophezeiung bliebe
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