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Die Erfindung der Einsamkeit

Die Erfindung der Einsamkeit

Titel: Die Erfindung der Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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beinahe wie weiß wirkt. Daran anschließend Weiteres dieser Art: Die Küchenmagd, Frau mit Waage, Das Mädchen mit der Perle, Junge Frau mit Wasserkrug, Die Briefleserin.
    «Die Fülle und Selbstgenügsamkeit des gegenwärtigen Augenblicks.»

    Es stimmt schon, in gewissem Sinne hatten Rembrandt und Titus ihn nach Amsterdam gelockt, wo er dann irgendwelche Räume betrat und sich in Gegenwart von Frauen wiederfand (Vermeers Frauen, Anne Frank), aber zugleich empfand er seine Reise in diese Stadt als Pilgerfahrt in seine eigene Vergangenheit. Wieder wurden seine inneren Bewegungen durch Gemälde ausgedrückt: ein emotionaler Zustand, der sich in einem Kunstwerk greifbar verkörperte, als wäre die Einsamkeit eines anderen in Wirklichkeit der Widerhall seiner eigenen.
    In diesem Fall waren es van Gogh und das neue Museum, das man zur Aufnahme seines Werks gebaut hatte. Wie ein frühes, im Unbewussten begrabenes Trauma, das zwei völlig unverbundene Dinge für immer zusammenschweißt (dieser Schuh ist mein Vater; diese Rose ist meine Mutter), sind van Goghs Gemälde für ihn ein Abbild seiner Jugend, eine Übertragung seiner tiefsten Gefühle in jener Zeit. Er kann das sogar ziemlich genau bestimmen, vermag Ereignisse und seine Reaktionen darauf nach Ort und Zeit zu benennen (genaue Schauplätze, genaue Zeiten; Jahr, Monat, Tag, sogar Stunde und Minute). Von Bedeutung ist jedoch nicht so sehr die Chronik der Ereignisse als vielmehr deren Konsequenzen, deren Verbleib im Raum der Erinnerung. Sich an einen Tag im April erinnern, an dem er als Sechzehnjähriger zusammen mit einem Mädchen, in das er sich verliebt hatte, die Schule schwänzte: so leidenschaftlich und hoffnungslos verliebt, dass der Gedanke daran noch heute weh tut. Sich an den Zug erinnern, und dann an die Fähre nach New York (jene Fähre, die es nun schon lange nicht mehr gibt: Industrieeisen, warmer Nebel, Rost), und wie sie dann eine große Van-Gogh-Ausstellung besucht hatten. Sich erinnern, wie er dort gestanden und vor Glück gezittert hatte, als ob das gemeinsame Betrachten der Gemälde diese in die Anwesenheit des Mädchens gekleidet hätte, sie auf geheimnisvolle Weise mit der Liebe, die er für das Mädchen empfand, verschönert hätte.
    Einige Tage darauf begann er eine Reihe von Gedichten zu schreiben (nicht mehr auffindbar), die auf den zuvor gesehenen Bildern aufbauten, und jedes trug den Titel eines Gemäldes von van Gogh. Es waren seine ersten richtigen Gedichte. Sie waren nicht so sehr eine Methode, in diese Bilder einzudringen, als vielmehr ein Versuch, die Erinnerung an diesen Tag heraufzubeschwören. Es vergingen jedoch viele Jahre, ehe er dies erkannte. Erst als er in Amsterdam dieselben Bilder betrachtete, die er mit dem Mädchen gesehen hatte (er sah sie dort zum ersten Mal seit jener Zeit wieder – nun fast doppelt so alt wie damals), erinnerte er sich daran, diese Gedichte geschrieben zu haben. In diesem Augenblick ging ihm die Gleichung auf: der Akt des Schreibens als ein Akt der Erinnerung. Denn Tatsache ist, dass er, von den Gedichten abgesehen, nichts davon vergessen hat.

    Im Amsterdamer Van-Gogh-Museum (Dezember 1979) vor dem Bild Das Schlafzimmer , entstanden im Oktober 1888 in Arles.
    Van Gogh an seinen Bruder: «Diesmal ist es ganz einfach mein Schlafzimmer … der Anblick des Bildes soll den Kopf oder richtiger die Phantasie beruhigen …
    Die Wände sind blassviolett. Der Fußboden hat rote Ziegel.
    Das Holz des Bettes und die Stühle sind frisches Buttergelb, das Laken und die Kopfkissen sehr helles Zitronengrün.
    Die Bettdecke scharlachrot. Das Fenster grün.
    Der Waschtisch orange, das Wasserbecken blau.
    Die Türen lila.
    Und das ist alles – sonst ist nichts in diesem Zimmer mit den geschlossenen Fensterläden …
    Damit räche ich mich für die erzwungene Ruhe, die ich halten musste …
    Skizzen von den anderen Zimmern mache ich Dir auch noch mal.»
    Bei genauerem Studium des Gemäldes bekam A. jedoch unweigerlich das Gefühl, van Gogh habe etwas ganz anderes getan als das, was er sich vorgenommen hatte. A.s erster Eindruck war freilich ein Gefühl von Stille, von «Ruhe», wie der Künstler es beschreibt. Doch als er versuchte, den auf der Leinwand dargestellten Raum zu bewohnen, kam er ihm immer mehr wie ein Gefängnis vor, ein unmöglicher Raum, ein Abbild nicht so sehr eines Wohnraums als vielmehr des Geistes, der dort zu leben gezwungen war. Sorgfältig betrachten. Das Bett versperrt eine Tür, ein

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