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Die Erfindung des Abschieds /

Die Erfindung des Abschieds /

Titel: Die Erfindung des Abschieds / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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über den goldenen Ring in seinem linken Ohrläppchen, wusch sich die Hände und hielt sie unter den Trockner. »Es gibt hier etliche Kollegen, die haben was gegen Sie, ich nicht, ich hab nichts gegen Sie, ich wunder mich bloß. Und ich hab gedacht, die Sitzung ist der richtige Ort dafür, um das loszuwerden. Sorry, wenn ich Sie verletzt haben sollte, das wollt ich nicht, ehrlich.« Er schüttelte die Hände aus und rieb sie am Gesäß seiner Hose ab.
    »Sie haben mich nicht verletzt«, sagte Süden. »Ich glaub nur nicht, dass Sie mit Ihrer Methode mehr Erfolg gehabt hätten, und schneller.« Süden drehte den Hahn auf, hielt die Hände drunter, bückte sich und wusch sich mit kaltem Wasser das Gesicht.
    »Keine Ahnung. Jetzt ist es eh zu spät. Ich schätze, wir werden den Jungen bald haben, jetzt kann er sich nirgends mehr verstecken, cleverer Typ, der Kleine. Servus.« Wieder riss er die Tür so schwungvoll auf, dass sie gegen die Wand knallte.
    Im Spiegel tauchte Südens tropfnasses Gesicht auf. Er blieb so, bis es trocken war, minutenlang. Anschließend kämmte er sich mit den Fingern die Haare und betrachtete sich. Vielleicht hatte Sonja Recht, vielleicht hatte er keinen Grund, sich zu schämen.
     
    Zuerst erschrak der kleine Junge, als er die Stimme hörte, dann musste er das Gekreisch seines jüngeren Bruders über sich ergehen lassen, der den Elektro-Rover gegen seine Beine lenkte und mit der Fernsteuerung durch die Wohnung rannte und heiser »Brrmm Brrmm«, brüllte.
    »Hey, halt die Klappe und verzieh dich!«, rief Aras seinem Bruder zu und zog das Telefonkabel hinter sich her in sein Zimmer. Weil Mustafa nicht zu bremsen war, sondern hinter ihm hertrippelte, legte Aras den Hörer auf die Stereoanlage, packte seinen Bruder und trug ihn mitsamt der Fernsteuerung, die er wie eine Monstranz fest umklammert hielt, in die Küche, setzte ihn auf den Boden und schob ihn unter den Tisch; dort, das wusste Aras, fürchtete sich Mustafa und verstummte vor Schreck; und so geschah es.
    »Hey, ich hab dich nicht verstanden, sprich lauter!«, sagte Aras in den Hörer, nachdem er die Tür seines Zimmers geschlossen hatte. »Was ist? Ja, hab ich verstanden, okay, wo bist du? Meine Mutter ist da, sie ist im Badezimmer, wäscht Wäsche … Ist kein Problem, ja, mach ich, okay, mach ich. Wie geht’s dir … Hey! Hey!«
    Am anderen Ende war die leise Stimme verstummt. Aras legte auf, nahm den Hörer sofort wieder ab und wählte eine Nummer.
    »Ist Sunny da? Hier ist Aras.«
    Die Tür wurde aufgerissen, und seine Mutter stand im Zimmer.
    »Was soll das?«, schimpfte sie. »Dein Bruder weint, und du kümmerst dich nicht um ihn. Ich hab was zu tun, also hilf mir! Mit wem telefonierst du?«
    »Mit Sunny, sie hat mich zum Kaffee eingeladen, ihr Vater ist auch da, der berühmte Schauspieler … Ja, hallo?«
    »Du gehst jetzt nicht weg! Ich brauch dich hier.«
    »Ja, Mama.« Er schob sie aus dem Zimmer und machte die Tür zu. »Hallo, Sunny, ich muss mit dir reden, aber nicht am Telefon, hast du Zeit?«
    »Nein«, sagte sie.
    »Es ist wichtig …« Er flüsterte, und seine Mutter, die vor der Kinderzimmertür lauschte, verstand kein Wort. Dann hörte sie, wie Aras den Hörer auflegte. Als er herauskam, hatte er seine blaue Jacke an und sein Baseballkäppi auf.
    »Ich hab gesagt, du sollst hier bleiben und auf deinen Bruder aufpassen, ich muss einkaufen gehen«, sagte seine Mutter.
    »In zwei Stunden bin ich wieder zurück, Mama. Ich hab Ferien.« Er zog seine Turnschuhe an, die im Flur standen, und war schon an der Tür. »Ciao, Mama!«
    Bevor sie ein weiteres Wort herausbrachte, huschte er aus der Wohnung und lief in Richtung Bahnhof davon.
    Von Pasing fuhr er mit der S-Bahn bis zum Ostbahnhof und rannte von dort bis zur Wohnung von Sunnys Eltern am Bordeauxplatz. Er sprang über die Pfützen und achtete darauf, dass seine kostbaren Nike-Schuhe nicht nass wurden. Bevor er das Haus betrat, schaute er sich um, wie er das von Profis aus dem Fernsehen kannte: Am Straßenrand parkten die Autos Stoßstange an Stoßstange, und sogar auf dem Bürgersteig, nicht weit vom Hauseingang entfernt, stand ein weißer BMW und versperrte den Fußgängern den Weg.
    Er drückte auf die Klingel, lehnte sich gegen die Tür und schwang mit ihr nach innen. Dann sauste er in den vierten Stock hinauf.
    Fünfunddreißig Minuten nachdem er von zu Hause weggegangen war, saß Aras neben Sunny auf deren Bett und führte mit ihr, bei frisch gepresstem

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