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Die Erfindung des Abschieds /

Die Erfindung des Abschieds /

Titel: Die Erfindung des Abschieds / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Orangensaft und Vollkornkeksen, ein konspiratives Gespräch.
     
    Sie hatte ihn gezwungen, still auf seinem Platz sitzen zu bleiben, und das machte ihn hibbelig. Er fummelte an seiner Lederkrawatte herum und schaute dauernd in die Kamera, was ihm die Reporterin verboten hatte. Was hatte diese rothaarige Schnepfe ihm in seiner eigenen Wohnung überhaupt zu verbieten? Kam hier reingeschneit, hielt ihm ein Mikrofon unter die Nase und stellte ihm dämliche Fragen. Zwei Typen waren auch dabei, einer mit der Kamera, der andere kümmerte sich um das Mikrofon. Die machten alles, was die Schnepfe ihnen anschaffte. Scheißjob! Jedes Mal, wenn er im Fernsehen dieses Magazin sah,
Vor Ort,
dann ging ihm das Gesülze dieser Leute auf den Zeiger. Erzählten da stundenlang ihr Zeug, irgendeinen Blödsinn von Mord und Totschlag und Schicksalsschlag, und wenn sie dann auch noch anfingen zu heulen, zappte er weg, so was brachte ihn zur Weißglut. Scheißflennerei in der Glotze, das war richtig Mode geworden, zum Kotzen!
    Und jetzt hockte er da und erzählte selber irgendein Zeug, an das er sich eine Minute später schon nicht mehr erinnerte. Wieso hatte er diese Schnepfe und ihre Fußabstreifer überhaupt reingelassen?
    Jetzt fiel ihm nicht mal mehr ihr Name ein, Sossig?
    »Hat Ihnen die Polizei denn nicht gesagt, was für Fortschritte sie bei der Suche nach Ihrem Sohn macht, Herr Vogel?«, fragte Nicole Sorek, die siebenundzwanzigjährige Reporterin des Boulevardmagazins
Vor Ort,
die nicht nur wegen ihrer roten Haare und ihrer ungenierten Art, Leute auszufragen, innerhalb kürzester Zeit zur TV -Newcomerin des Jahres geworden war; ihre Stärke war es, Gesprächspartner zu provozieren und aus der Reserve zu locken. Was ihr zuletzt mit Hauptkommissar Volker Thon auf der Pressekonferenz im Dezernat 11 wieder einmal unnachahmlich gelungen war, wie ihr sogar Kollegen, die lange im Geschäft waren, neidvoll bestätigten.
    »Die Polizei!«, sagte Thomas Vogel abfällig und schaute in die Kamera. Kirsten, seine Frau, saß schweigend neben ihm auf dem Sofa und kratzte sich die Innenseite der linken Hand. »Jetzt hören Sie doch mal mit der Polizei auf! Die hat versagt, und jetzt schieben sie’s auf die Presse, das ist doch … das ist doch kaputt, Mann!«
    Nicole saß ihm gegenüber auf einem Stuhl neben der Kamera und gab ihm Zeichen, nur sie anzuschauen. Er tat es, und sein kalter Blick erinnerte sie daran, dass die meisten Menschen, mit denen sie es zu tun hatte, keine von Demut gezeichneten Opfer waren, sondern voller Hass auf die Welt, und den wollten sie mit ihrer, Nicoles, Hilfe ihren Mitmenschen heimzahlen; das Fernsehen bot ihnen die beste Möglichkeit dazu.
    »Kennen Sie den Mann, bei dem sich Ihr Sohn zuletzt aufgehalten hat?«, fragte Nicole schnell.
    »Nein, aber wenn ich ihn in die Finger krieg, bring ich ihn um!« Vogel ruckte hin und her, seine ausgefransten Haare standen ihm vom Kopf, und seine Wangenmuskeln bewegten sich unaufhörlich. Je näher die Kamera an sein Gesicht heranfuhr, desto unberechenbarer wirkte er.
    »Haben Sie Angst, dass dieser Mann Ihrem Sohn etwas angetan haben könnte?«, fragte Nicole und schlug geräuschlos ein Blatt ihres Notizblocks um.
    »Das wär ganz ungesund für den, wenn er das getan hätte, aber das glaub ich nicht.«
    »Wieso nicht, Herr Vogel?«
    »Weil mein Raphael ein aufgeweckter Junge ist, der lässt so was nicht mit sich machen, der ist schlauer als so ein … so ein Kerl. Und jetzt hat ihn die Polizei auch noch freigelassen, in was für einem Land leben wir denn? In Amerika kommen solche Kinderschänder auf den elektrischen Stuhl.«
    »Sie wollten selber mal Polizist werden, Herr Vogel, was hätten Sie denn anders gemacht?«
    »Meiner Meinung nach sind die einfach zu lasch. Ich hab doch geredet mit denen, auf dem Friedhof, als mein Vater beerdigt worden ist, da hab ich doch mitgekriegt, was die für Fragen stellen und so …«
    »Was für Fragen haben die denn gestellt?«
    »Weiß ich nicht mehr, ist doch egal! Sie haben im Nebel rumgestochert. Raphael war auf dem Friedhof, und da hat ihn dieser Gärtner gekidnappt, und das haben die nicht mitgekriegt! So was müssen Sie in Ihrem Fernsehen mal sagen, aber das trauen Sie sich natürlich nicht! Das ist doch interessant, wie die Polizei in diesem Land einen Jungen sucht, der verschwunden ist. Die schalten ihren Computer an, und das war’s dann. So was müssen Sie in Ihrem Fernsehen mal deutlich sagen, damit die Leute wissen, woran

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