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Die Erfindung des Abschieds /

Die Erfindung des Abschieds /

Titel: Die Erfindung des Abschieds / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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setzte sich auf einen Stuhl. »Und mir ist tatsächlich noch was eingefallen, das ich völlig vergessen hatte. Georg hat ein paar Mal zu mir gesagt, er würde mir gern was zeigen, Sie wissen schon, seine Modelleisenbahn, er wollte, dass ich zu ihm komme und mir was Bestimmtes ansehe. Aber es hat nie geklappt. Keiner von uns hat je Zeit gehabt. Eigenartig, dass ich daran nicht mehr gedacht hab, als Ihre Kollegen mich nach ihm gefragt haben. Sie haben mich wieder drauf gebracht, Herr Süden. Eigenartig.«
    »Könnte es sein, dass er Ihnen den See mit dem roten Felsen und dem Leuchtturm zeigen wollte?«
    »So wie Sie mir das Ganze beschrieben haben, könnte es sich tatsächlich um Helgoland handeln, und von Helgoland hab ich ihm ja auch erzählt, dass ich als Kind wegen meiner Allergie häufig dort war …«
    »Das hab ich in den Aufzeichnungen meiner Kollegin gelesen, Sie haben es ihr erzählt«, sagte Süden und hörte ein leises, klirrendes Geräusch, das aus einem anderen Zimmer kam. Evelin schien nichts bemerkt zu haben.
    »Das ist wahr«, sagte sie. »Ich weiß nicht, wie oft ich Georg gegenüber von Helgoland gesprochen habe, sicher nicht sehr oft, aber bestimmt recht schwärmerisch, ich war immer gern dort und wäre gern mal wieder hingefahren.«
    »Zusammen mit Georg Vogel?«
    »Warum nicht? Und auch mit seinem Enkel, dem hätte das bestimmt gefallen, das blaue Meer, der rote Felsen, der weiße Strand. Grün ist das Land, rot ist die Kant, weiß ist der Sand, das sind die Farben von Helgoland. Sie kennen den Spruch.«
    »Ich bin sicher, dass die Insel, die Ihr Freund in seine Modelleisenbahn gebaut hat, Helgoland darstellen soll«, sagte Süden. Plötzlich verspürte er eine fröhliche Neugier, die etwas mit den Geräuschen in dieser Wohnung zu tun hatte.
    »Und was bedeutet das jetzt?«, fragte Evelin.
    »Ich glaube, ich weiß jetzt, wo ich suchen muss. Dürfte ich bitte mal Ihre Toilette benutzen?«
    »Bitte?« Beinah erschrocken schaute sie auf und dann wieder zur Tür. »Ja, also … da … ach, was soll’s! Die Toilette ist besetzt.«
    Ertappt, dachte er und konnte sich nicht erklären, was ihn so erheiterte.
    »Sie haben Besuch? Entschuldigung, macht nichts. Ich geh sowieso.«
    Er stand auf und verkniff sich ein Lächeln. Da hörte er, wie eine Tür aufgesperrt und geöffnet wurde und jemand den Flur entlangkam.
    Es war Paul Weber. Er hatte seine Bundhose ohne Strümpfe an und ein langes blaues Unterhemd. Er sah verschlafen aus, oder verkatert.
    »Servus, Tabor, blöde Situation …«
    »Hast du dich vor mir versteckt?«, fragte Süden und fing an zu lachen. Die beiden schauten ihn verwundert an, denn er schien sich königlich zu amüsieren. Sein Lachen war laut und offen, ohne jede Schadenfreude.
    »Ich hab immer geglaubt«, sagte Evelin in das Lachen hinein, »Polizisten sind mutige Männer, na ja.« Sie blinzelte Weber zu, ging zum Schrank und holte drei Gläser und eine Cognacflasche.
    »Peinlich«, sagte Weber und wischte sich den Schweiß von der Stirn; seine Ohren waren purpurrot, und er kratzte sich verlegen den Bauch, der sich wie ein Ball unter dem Hemd wölbte.
    Süden hörte auf zu lachen. »Ihr seid also ein heimliches Liebespaar«, sagte er.
    »Ja …«, sagte Weber. Dann fiel ihm etwas ein. »Du bist doch suspendiert oder nicht?«
    »Ja«, sagte Süden, »aber ich hab deswegen keinen Hausarrest.«
    »Oje, oje«, sagte Weber und setzte sich auf den Stuhl, auf dem Evelin zuvor gesessen hatte.
    »Zum Wohl, die Herren«, sagte sie und reichte ihnen die Gläser, die sie gefüllt hatte.
    »Möge es nützen!«, sagte Süden. Evelin stutzte, fragte aber nichts.
    Sie tranken.
    »Was wolltest du denn von Evelin?«, fragte Weber. »Sie hat mir gesagt, du hast dir nochmal die Modelleisenbahn angesehen, wozu denn?«
    »Ich hatte sie noch nicht gesehen.«
    »Hm.« Weber leerte sein Glas und behielt es in der Hand. »Willst du mir was mitteilen, etwas, das ich für die Ermittlungen brauchen kann? Hast du eine Spur?«
    Süden genoss die Blume des Cognacs, die aus dem bauchigen Glas in seine Nase stieg, er atmete tief ein und nahm noch einen Schluck.
    »Nein«, sagte er, »es war nur eine Idee.«
    Evelin Sorge sah ihn von der Seite an und wurde den Verdacht nicht los, dass dieser Kommissar seinen alten Kollegen schamlos angelogen hatte.
     
    Der Wagen schnurrte über die Autobahn, als wäre er soeben erst generalüberholt worden. Dabei war er Baujahr 1978 und an allen Ecken und Enden geschweißt und

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