Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Erfindung des Abschieds /

Die Erfindung des Abschieds /

Titel: Die Erfindung des Abschieds / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
Vom Netzwerk:
gelötet.
    »Toller Schlitten, oder?«, sagte August Anz.
    »Geht so«, sagte Raphael, der auf dem Rücksitz saß und auf der Gegenfahrbahn die vorbeisausenden Lichter zählte.
    »Bist du schon mal in einem Mercedes gefahren?«
    »Klar.«
    »Damit kommen wir noch schneller ans Ziel. Und niemand wird uns einholen. Siehst du, das Warten hat sich gelohnt. Und die alte Kiste findet in der Garage kein Mensch. Wir sind clever, Raphael.«
    Der Junge zog sich die Decke übers Gesicht und dachte an die große, breite Brücke, die vom Festland hinüber auf die Insel führte, wo der Strahl des Leuchtturms den Seeleuten den Weg wies, damit sie sich nicht verirrten; das hatte ihm sein Opa erzählt, und deshalb stimmte es. Ich werd mich auch nicht verirren, dachte er noch, bevor er in einen tiefen Schlaf fiel, in dem die bösen Träume ihn diesmal verschonten.
     
    Der Junge am anderen Ende der Leitung schwieg.
    »Was wollte Raphael von euch?«, fragte der Kommissar.
    »Uns sehen«, sagte Aras schnell. Seine Mutter beobachtete ihn, wie er nervös mit den Beinen wackelte, während er den Hörer fest ans Ohr presste.
    »Okay, euch sehen. Das versteh ich. Und was noch?«
    Schweigen.
    »Ich glaube, Raphael wollte verreisen, und dazu hat er Geld gebraucht. Und ich weiß, dass er auf eine Insel fahren wollte, hat er euch davon erzählt?«
    »Nein.«
    »Er hat euch nicht gesagt, wofür er das Geld braucht?«
    »Nein.«
    »Aras, ich bin ein ganz fieser Polizist, wenn du mir nicht die Wahrheit sagst, erzähl ich deiner Mutter ein paar Dinge von dir, die sie besser nicht wissen sollte.«
    »Was denn zum Beispiel?«, fragte der Junge forsch.
    »Dass du Mädchen küsst und an ihnen herumfummelst.« Es war ein Schuss ins Blaue und außerdem eine Gemeinheit.
    »Sie sind gemein«, sagte Aras.
    Jetzt war Süden mit Schweigen dran.
    »Er hat gesagt, er …« Aras druckste herum. »Er … braucht das Geld für eine … Überfahrt … Ich weiß nicht, was das ist, sagen Sie meiner Mama bitte nichts …« Er sah sie in der Küchentür stehen und drehte ihr den Rücken zu. »Mehr weiß ich nicht«, flüsterte er. »Ehrlich.«
    »Du hast mir sehr geholfen, Aras«, sagte Süden. Der Junge hatte schon aufgelegt.
    Weil er Flugangst hatte, musste er den Zug nehmen, und bis er sein Ziel erreicht hatte, würde ein ganzer Tag vergangen sein.
    Als er Sonja vom Zugtelefon aus anrief, schrie sie ihn eine Minute lang an und knallte dann den Hörer auf.
    Hätte er ihr rechtzeitig Bescheid gesagt, wäre sie dann mit seiner Entscheidung einverstanden gewesen? Er kannte die Antwort.
    Aber er war es seinem toten Freund Martin schuldig, das Leben dieses Jungen zu retten. Und brennende Bilder begleiteten Tabor Süden, als er von seinem Fensterplatz im Zug in die fliehende Welt hinaussah.

16
    Felsen der mutigen Vögel
    H alt bloß die Klappe, Dicker!« Sie rannte auf dem Flur neben ihm her. Aus allen Räumen drangen Stimmen, Telefone klingelten, Polizisten redeten durcheinander, Gläser klirrten, sogar auf den Toiletten herrschte Gedränge, weil jeder es heute besonders eilig hatte.
    »Ich hab doch gar nichts gesagt!«, verteidigte sich Paul Weber. »Wir haben uns zufällig unten auf dem Parkplatz getroffen, und da hab ich ihm gesagt, dass Tabor angerufen hat, mehr nicht, das war alles.«
    Sie platzten in die Konferenz, die von Volker Thon geleitet wurde. »Was weißt du darüber, dass Süden weiter an dem Fall arbeitet?«, blaffte er Sonja Feyerabend an, als sie mit Weber hereinkam.
    »Nichts!«, blaffte sie zurück, zog ihren Mantel aus und warf ihn über den Stuhl.
    »Du hast sie wohl nicht mehr alle!« Thon stand auf und ging drohend auf sie zu. »Du sagst mir jetzt, was du weißt! Willst du unsere Ermittlungsarbeit torpedieren oder was? Ist das wahr, was Weber zu mir gesagt hat, dass Süden gestern diese Evelin Sorge angerufen hat? Ist das wahr, Sonja?«
    Er stand so dicht vor ihr, dass sie sein Aftershave riechen musste, und sie hielt sich ungeniert die Nase zu. Ihre Wut auf Süden war maßlos und steckte in ihr wie eine Gräte.
    »Rutsch mir den Buckel runter!«, sagte sie und setzte sich. Für einen Moment blickte er ins Leere, dann fuhr er herum und holte Luft.
    »Entweder es gelingt dir, deine Privatsachen aus der Arbeit rauszuhalten, und zwar sofort, oder du fliegst aus der Soko raus, du bist raus aus diesem Fall, kapiert? Ich lass mir von niemandem auf dem Kopf rumtanzen – von Tabor nicht, von dir nicht, von niemandem, hast du mich

Weitere Kostenlose Bücher