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Die Erfindung des Abschieds /

Die Erfindung des Abschieds /

Titel: Die Erfindung des Abschieds / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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gleich.«
    »Gut«, sagte Funkel. »Sonja bleibt drin. Wir brauchen sie. Ersatzspieler haben wir nicht.«
    »Das ist doch nicht dein Ernst, Charly! Fängst du jetzt auch noch an, meine Autorität zu untergraben?«
    »Quatsch«, sagte Funkel. »Es ist besser, wir beruhigen uns erst mal alle wieder.«
    Thon schüttelte den Kopf und kratzte sich mit dem Zeigefinger an der Wange.
    Funkel bückte sich, hob die Wasserflasche auf und stellte sie auf den Tisch.
    »Hast du vorhin mit ihm telefoniert?«
    »Ja«, sagte Sonja.
    »Wo steckt er?«
    »Er …« Sie brauchte nicht wegen Süden zu lügen, natürlich brauchte sie das nicht, sie hatte überhaupt keine Veranlassung dazu, wie gut, dass er sie daran erinnert hatte, dass sie nicht wegen ihm zu lügen brauchte, danke, Tabor, vielen Dank! »Er … hat eine Idee …«
    Thon schaute sie an und schürzte die Lippen.
    »Was für eine Idee?«, sagte Funkel.
    »Es könnte sein, dass wir was übersehen haben.«
    »Und was?«
    »Das Geheimnis einer Modelleisenbahn.«
    Thon klatschte in die Hände. »Wunderbar«, sagte er, »das hat uns noch gefehlt, das Geheimnis einer Modelleisenbahn! Was soll das sein? Elektrizität?«
    »Ja«, sagte Sonja, »das kommt der Sache nahe.«
     
    An Deck des großen Schiffes hatte er sich gefürchtet, und in dem engen Boot, das voller Menschen war, hatte er sich klein gemacht, um nicht erdrückt zu werden. Doch hier auf der Klippe, wo der Wind heftig wehte, fühlte er sich frei und mutig genug, bis an die Absperrung heranzutreten, unter der der rote Felsen jäh in die Tiefe stürzte.
    Das Meer war grau, Wolken verdeckten den Horizont. Weit in der Ferne fuhr schemenhaft ein Schiff vorüber. Die Besucher, die mit den Fähren aus Hamburg, Bremen, Büsum und anderen Orten nach Helgoland gekommen waren, fotografierten ununterbrochen oder filmten sich selber mit Videokameras.
    Auf so einer Insel war Raphael noch nie gewesen. Kaum hatte er sich von dem mulmigen Gefühl im Magen erholt, das ihn während der Überfahrt von Büsum aus, wo sie ihr Auto abgestellt hatten, gequält hatte, rannte er übermütig über die Straßen des Unterlands und dann die Stufen ins Oberland hinauf und breitete die Arme aus und rannte gegen den Wind an.
    Gustl kam ihm nur langsam hinterher, er ging gebückt und schwerfällig, und Raphael kümmerte sich nicht um ihn. Im
Haus Elster
hatten sie ein Doppelzimmer gemietet, und August Anz hatte sich als Großvater ausgegeben; er trug einen falschen Namen auf dem Anmeldeformular ein, und als sie das Fenster ihres Zimmers im ersten Stock öffneten, hatte er ihn vergessen. Zum Glück wusste Raphael ihn noch: Hardenberg, Nikolaus Hardenberg. Das war Anz so eingefallen, und er wunderte sich später darüber, denn er kannte niemanden, der so hieß. »Schön’ Tach noch, Herr Hardenberg«, hatte Frau Elster zu ihm gesagt, als sie das Haus verließen, um die Insel zu inspizieren.
    Sie waren gefangen hier, aber was hätte er tun sollen? Der Junge wollte unbedingt hierher und nirgendwo anders hin. Sein Großvater sei hier geboren worden, hatte Raphael gesagt und ihn so traurig dabei angesehen, dass er seinen Wunsch einfach erfüllen musste. Vielleicht fanden sie sogar das Geburtshaus.
    Ihm war nicht gut; auf der Überfahrt hatte er drei Biere getrunken, und das Schaukeln des Schiffes war nicht gerade erholsam gewesen; unter Deck, wo die Toiletten waren, reiherten die Leute in die Spuckbecken, und bei diesem Anblick hätte er sich beinah übergeben müssen, aber er hielt durch; außerdem wollte er sich nicht vor dem Jungen blamieren.
    Er hatte beschlossen, vorübergehend nicht nachzudenken. Das war unmöglich. Dauernd musste er an seinen Freund denken, den er getötet hatte, ohne es zu wollen, und er musste an den Jungen denken, der vor ihm wie ein Hund hin und her lief und seinen Spaß zu haben schien; er dachte daran, wie es sein würde, wenn plötzlich die Polizei auftauchte und das Abenteuer zu Ende war, oder wenn ihnen das Geld ausging, wenn die zweitausendachthundert Mark, die er eingesteckt hatte, ausgegeben waren; ob er mit seiner EC -Karte noch ein paar Mark abheben konnte, bezweifelte er, wahrscheinlich hatten sie ihm längst das Konto gesperrt, ihm, dem arbeitslosen Gärtner, der als Mörder gesucht wurde.
    Suchten sie ihn überhaupt? Natürlich, wen sollten sie sonst suchen, er war der Einzige, der in Frankys Wohnung gewesen war, und mit großer Wahrscheinlichkeit hatte dieses Schrapnell von Nachbarin ihn gesehen, sie sah alles, vor

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