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Die Erfindung des Abschieds /

Die Erfindung des Abschieds /

Titel: Die Erfindung des Abschieds / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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griff.
     
    »Ich bin in Hamburg«, sagte er.
    »Erzähl das deinem Gnom«, sagte sie.
    »Wenn ich dich vorher gefragt hätte, wärst du dagegen gewesen.«
    »Was denkst du denn? Ist das vielleicht dein persönlicher Job? Dein göttlicher Auftrag, diesen Jungen zu finden?«
    »Kannst du etwas lauter sprechen, bitte?«
    »Nein, hier ist die Hölle los. Ich steh im Treppenhaus, und es geht zu wie auf dem Jahrmarkt, ich hab keine Lust, dass jeder mir zuhört. Woher weiß die Presse, dass du nicht mehr in der Stadt bist?«
    »Von mir nicht.«
    »In der Zeitung steht, du würdest auf eigene Faust arbeiten. Stimmt das?«
    »Wenn der Junge mitkriegt, dass die Polizei hinter ihm her ist, dann dreht er durch, das weiß ich. Und du weißt das auch.«
    »Ich weiß nur, was du im Wald zu mir gesagt hast. Erinnerst du dich, ja? Du hast gesagt, du kommst nur unter der Bedingung zurück, dass ich bei dir bleibe. Großartig. Was nützt das, wenn ich bei dir bleibe, aber du nicht bei mir? Spinnst du? Warum fängst du wieder damit an? Wenn du allein sein willst, dann bleib allein! Geh zurück in deine Waldhütte, vergnüg dich mit deinem Gnom! Du bist suspendiert, Tabor, und es sieht nicht so aus, als könntest du je wieder in den Polizeidienst zurückkehren. Toller Einstand, den du da gegeben hast!«
    »Ich bin sicher, dass der Junge unterwegs nach Helgoland ist, dorthin, wo sein Großvater nie hingekommen ist.«
    »Gut, dann geh ich jetzt zu Thon und sag ihm das. Wir informieren die Kollegen auf Helgoland, und die kümmern sich dann drum. So groß ist die Insel wohl nicht.«
    »Es gibt keine Polizei auf Helgoland«, sagte er.
    »Warum denn nicht? Sind da alle so friedlich?«
    »Die Wasserschutzpolizei übernimmt dort die Aufgaben der Bereitschaftspolizei.«
    »Auch schön. Ich sag dir was, Tabor, bleib in Hamburg, entspann dich, du bist nicht im Dienst. Ich weiß nicht, wie es mit uns weitergehen soll, ich hab jetzt keine Zeit, darüber nachzudenken. Ich möchte, dass du wieder auf die Erde kommst, ich möchte, dass du dich nicht weiter in diesen Fall einmischst, und ich möchte, dass du mich vorerst nicht wieder anrufst. Ich hab die ganze Nacht nicht geschlafen, ich bin nur noch taub vor Wut auf dich, ich fühl mich ohnmächtig, und das ist das Schlimmste. Also, ich werde Thon sagen, dass es Hinweise gibt, nach denen der Junge auf Helgoland ist, und dann sehen wir weiter. Ja? Bitte, Tabor, ich halt das nicht aus, ich … ich hab gedacht, es wär einfacher … einfacher mit uns. Aber es ist … es ist …«
    »Sag ihm nichts von Helgoland«, sagte Süden. »Vertrau mir doch! Hast du vergessen, was die Grundregel ist? Suizidgefährdete Kinder, die von zu Hause weggelaufen sind, niemals öffentlich suchen! Das Risiko ist viel zu hoch. Und wir hatten zwei Fälle, bei denen wir uns nicht daran gehalten haben, und die Kinder sind in Panik geraten und haben sich umgebracht. Sie haben sich erhängt, Sonja, hast du das vergessen? Und jetzt veranstaltet Charly diesen Zirkus wieder, und wir wissen nicht, ob der Junge überhaupt noch lebt. Vielleicht hat er mitgekriegt, was los ist, vielleicht sind wir mit schuld dran, wenn er sich schon umgebracht hat.«
    »Hör auf damit!«
    »Sag Thon nichts von Helgoland«, sagte er noch einmal.
    »Zu spät. Weber hat ihm schon davon erzählt.«
    »Das glaub ich nicht.«
    »Ich muss jetzt aufhören. Bleib, wo du bist! Ich werd Charly sagen, du hättest dich gemeldet aus – aus Berlin. Du hast dich dorthin zurückgezogen, um über alles nachzudenken und deinen Bericht zu schreiben. Einverstanden? Mach’s gut, Tab …«
    »Du musst nicht wegen mir lügen«, sagte er.
    »Das weiß ich, verdammt!«, sagte sie und stellte ihr Handy ab.
    Der Druck, der von der Öffentlichkeit, besonders von der Presse, auf die Fahnder ausgeübt wurde, war in jedem Winkel des Dezernats offenkundig, man sprach nur noch in stakkatoartigen Sätzen miteinander, überall liefen Radios und Fernseher mit Berichten, in denen die Polizei als ein Club von Dilettanten dargestellt wurde.
    »Was willst du von mir?«, fragte Sonja an der Tür von Funkels Büro.
    »Komm rein, und beeil dich!«, befahl er ihr vom Schreibtisch aus.
    Volker Thon war auch da, und Sonja Feyerabend biss sich auf die Unterlippe.
     
    Nachdem er aufgestanden war und sich an der Augenklappe gekratzt hatte, kam er hinter dem Schreibtisch hervor, ging auf die Tür zu, verharrte kurz und blickte zu Boden, schloss die Tür und drehte sich zu Sonja um.
    »Willst du

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