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Die Erfindung des Abschieds /

Die Erfindung des Abschieds /

Titel: Die Erfindung des Abschieds / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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dass sie mit dem Stuhl umkippte und sich nirgends festhalten konnte, so schnell prasselten die harten Hände auf sie ein, von allen Seiten. Sie hob die Arme vors Gesicht, und weil sie sie nicht wieder wegnahm, packte er sie, zog sie hoch, krallte seine Finger in ihre Oberarme, blieb eine keuchende Sekunde lang regungslos stehen – in Windeseile schöpfte sie Hoffnung – und stieß sie dann mit der ganzen Kraft, die in ihm steckte, gegen die Wand. Im ersten Moment dachte sie, ihr Rücken würde in hundert Teile zerspringen, sie japste wie ein Hund, bekam keine Luft und starrte den Mann an, der vor ihr stand, im schwarzen, ausgebeulten Anzug, das ausgebleichte weiße Hemd hing ihm aus der Hose, es hatte Flecken unterhalb des Kragens, das fiel ihr auf, auch, dass die dünne Lederkrawatte verrutscht und der Knoten fast offen war, und sie machte den Mund weit auf und konnte nicht mehr sprechen; der Schmerz vom Aufprall betäubte sie, und der Nebel, der sich vorhin langsam aufzulösen schien, hüllte sie wieder ein und verschluckte sie, und sie wollte rufen: Ich bin hier, hier bin ich doch, wieso hältst du mich nicht fest wie früher?, aber ihre Stimme hatte sie verlassen, und sie erschrak.
    Die Hand sah sie erst, als sie den Schlag spürte, auf ihrem linken Ohr und der Wange, und während sie sich noch wunderte, knickten ihre Beine ein, und sie fiel auf den Küchenboden, neben den Kühlschrank, vor den Mülleimer, aus dem der Abfall quoll, und der jetzt umkippte und sie mit leeren Coladosen, Gemüseresten, verschimmeltem Weißbrot und breiigem Kaffeepulver bedeckte. Aus ihrer Nase floss Blut auf das abgeschabte PVC , und ihr Herz pochte so heftig, dass sie unbewusst die Fäuste ballte und sich verkrampfte wie ein zu Tode erschrockenes Tier, dessen Beine in grauen Leggings, aus der ihre nackten Füße ragten, starr von ihr abstanden, und dessen Arme wie abgebrochene Fühler neben ihr lagen. Vor ihren Augen bewegten sich schwarze, schmutzige Schuhe hin und her, abgetretene Sohlen, rissiges Leder, rochen nach Regen, oder nach Blut, sie schnupperte, und die Schuhe gingen weg, tauchten neben ihrem Körper auf, was sie nicht sehen konnte, denn ihr Kopf war aus Eisen, unmöglich, ihn zu drehen.
    »Was hast du mit dem Raphael angestellt, ha!« Wie faustgroße Schloßen hagelten die Worte auf sie herunter. Hätte sie sich erinnern können, wie es funktionierte, sie hätte sich geduckt und winzig gemacht unter dem Baldachin ihrer Arme. So hielt sie einfach still und spürte die Kälte nicht, die aus dem Boden in sie kroch und aus dem Mund ihres Mannes. »Mach dein Maul auf, sonst prügel ich dich dermaßen durch, dass du nicht mehr weißt, wer du bist. Hast du das kapiert? Hast du das kapiert, du blöde Kuh?« Sie nickte, ganz fest nickte sie. Und verstand nicht, warum er ihre Haare packte und ihren Kopf nach oben zog, das tat so weh, so weh, warum? Ihr Nicken war bloß in ihrer Vorstellung, und die sah er nicht, sah nur, wie sie dalag und sich nicht bewegte, und das machte ihn rasend. »Du sollst mit mir reden, sonst passiert was!«, schrie er, hielt ihre Haare in der Faust fest, und ihre Kopfhaut brannte, als wäre Feuer da oben.
    »Hhhh …« hauchte sie, mehr Volumen hatte ihre Stimme nicht, »… hhha … aab vaa …«
    »Was, was?«, schrie die Stimme. »Du sollst mit mir reden, sonst passiert was!«
    Gerade setzte sie zu einem neuen Versuch an, da drehte er ihr den Kopf herum, kniete sich neben sie und zog sie, die Hände flach über ihre Ohren gepresst, zu sich her. Hinter dem Nebel und dem salzigen Schleier vor ihren Augen sah sie sein Gesicht, oder war es ein Stein mit Schnurrbart, nein, er war es, ihr Ehemann Thomas, er war es, und er schrie so laut …
    »Antworte mir, verflucht!«
    »Ja«, sagte sie. Und wunderte sich, woher die Stimme kam. Sie lauschte ihr nach.
    »Was, was?«, schrie er in ihr Lauschen.
    »Ja«, sagte ihre Stimme wieder, wie selbstverständlich, und sie hätte ihr gedankt mit einer zweiten Stimme, aber niemand lieh ihr eine.
    Und er ließ sie los.
    Befreit aus dem knochigen Schraubstock, sackte ihr Kopf nach unten, ihr Körper kippte nach vorn, und es blieb Vogel nichts anderes übrig, als sie aufzufangen. Ihre Stirn lehnte an seiner Schulter, am Jackett, das nach Moder und Zigaretten roch, und dieser Geruch war ihr lieber als alles andere; diesen Geruch kannte sie gut, und es störte sie nicht, dass aus ihrer Nase Blut tropfte und im dunklen Stoff versickerte.
    »Ha … hab verstanden,

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