Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Erfindung des Abschieds /

Die Erfindung des Abschieds /

Titel: Die Erfindung des Abschieds / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
Vom Netzwerk:
Einzelgänger, das hat auch die Lehrerin gesagt, also die Leiterin der Schule, die zum Glück nicht in Urlaub gefahren ist, weil ihre Mutter krank ist und sie auf sie aufpassen muss …« Thon nickte ihr ungeduldig zu und sie beeilte sich fortzufahren.
    »Der Junge, der neben ihm sitzt«, sagte sie, »ist übrigens ein türkisches Kind, total schwarze Augen, so groß, Wahnsinn, ich hab gar nicht mehr wegschauen können, der hat gesagt – der hat gesagt, Raphael ist nach der Schule fast immer sofort zu seinem Großvater gefahren …«
    »Von Pasing bis nach Giesing?«, fragte Weber, sein Blick kam finster unter dem Gestrüpp der Augenbrauen hervor.
    »Ja«, sagte Freya und schaute über ihre Brille hinweg in die Runde.
    »Wie ist er da hingekommen?«, fragte Heuer.
    »Keine Ahnung«, sagte Freya.
    »Hast du den Türkenbub nicht gefragt?«
    »Doch.«
    »Und?«
    »Er hat’s nicht gewusst.«
    »Er ist also immer allein nach der Schule von Pasing bis nach Giesing gefahren, um seinen Großvater zu treffen«, sagte Sonja.
    »Ja«, sagte Freya.
    »Oder ist der Großvater nach Pasing gekommen?«
    »Was?« Eifrig durchblätterte Freya ihre Aufzeichnungen. »Moment mal – der türkische Junge hat gesagt – gesagt: ›Raff hat mich nur einmal zu seinem Großvater und der Eisenbahn mitgenommen, das fand ich schade, ich hab ihn öfter mitgenommen zu meiner Familie …‹, und auch die Lehrerin, also die Leiterin der Schule, und die Lehrerin, mit der ich gesprochen hab, die haben sich so ausgedrückt, als wär es ganz selbstverständlich, dass Raff zu seinem Großvater hinfährt, und nicht umgekehrt. Zweifelst du das an?« Sie warf ihrer Kollegin Sonja einen Blick zu, kramte in ihrer Tasche und holte eine Packung Zigaretten heraus.
    »Der Junge kennt sich aus da oben in Giesing«, sagte Thon und beugte sich über den Stadtplan. Sonja erwischte einen Hauch des Eau de Cologne, das Thon benutzte, und fand es eine Spur zu pappig. »Der kennt sich da ganz genau aus, er war auf dem Friedhof, und wir haben nichts gemerkt. Oder die Kollegen haben ihn einfach nicht gesehen …«
    Mit einem Ruck drehte er sich um, ging zu seinem Schreibtisch und nahm den Telefonhörer in die Hand.
    »Frau Gebhard? Geben Sie mir bitte einen der Kollegen, die um den Ostfriedhof Streife fahren, wegen dem Jungen, den wir suchen …« Er wartete und zupfte an seinem Seidentuch. »Luggi, hier ist Thon, was gibt’s Neues?« Er hörte zu, bedankte sich und legte auf. »Nichts. Sie haben zwei Friedhofsgärtner gefragt, die haben auch niemand gesehen. Das ist sehr merkwürdig. Der Friedhof ist groß, okay, aber so ein Junge fällt doch auf, er hat einen Rucksack dabei! Ich bin sicher, er ist an einem der Plätze, die er kennt und an denen er regelmäßig mit seinem Großvater war.«
    »Glaub ich auch«, sagte Heuer, »deswegen sollten wir uns beeilen, da hinzukommen.«
    Thon griff wieder zum Telefon. Freya strich sich die Haare aus der Stirn und fing an, ihre Zettelwirtschaft zu ordnen; akribisch betrachtete sie ein Blatt nach dem anderen, nummerierte die Seiten und legte sie in einem Viereck vor sich hin.
    »Sind die Kopien der Fotos fertig?«, fragte Thon ins Telefon. »Gut. Dann ruf bei der Pressestelle der Verkehrsbetriebe an und lass dir erklären, wie wir die Bilder am schnellsten an die Fahrer verteilen. Jeder Busfahrer, jeder U-Bahn- und S-Bahn-Fahrer und vor allem jeder Straßenbahnfahrer kriegt eins, jeder! Und an den S-Bahnhöfen hängen wir die Fotos auf, kurze Beschreibung dazu, das Übliche. Heute noch, wann sonst? Nein, natürlich nicht, nur an der Strecke von Pasing bis zum Ostbahnhof, wie heißt diese Haltestelle nach dem Ostbahnhof in Richtung Osten?«
    »St.-Martin-Straße«, sagte Heuer.
    »Genau, St.-Martin-Straße. Hast du das verstanden? Okay. Meldung an alle Streifenwagen, an die Notdienste, Flughafen, Krankenhäuser, Kaufhäuser, Moment mal …« Er wandte sich an Freya. »Hast du Hinweise, dass der Junge suizidgefährdet ist?«
    Freya schüttelte den Kopf.
    »Die Mutter hat das auch verneint, als ich sie gefragt hab. Aber was heißt das schon? Ronny?« Er sprach wieder ins Telefon. »Also, ruf die Notdienste an, und dann die Taxifahrer, das ist ja logisch, obwohl wir da nicht viel zu erwarten haben, der Junge wird kaum mit dem Taxi unterwegs sein, und die Fahrer werden sich nicht gerade überanstrengen damit, wegen uns nach einem kleinen Jungen Ausschau zu halten. Gib trotzdem ein paar Fotos raus, nicht zu viele, wie viele

Weitere Kostenlose Bücher