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Die Erfindung des Abschieds /

Die Erfindung des Abschieds /

Titel: Die Erfindung des Abschieds / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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wie Thon es auszudrücken pflegte, eine zum Zwecke der Wahrheitsfindung nicht hundertprozentig zutreffende Aussage.
    Bei der Überprüfung dessen, was die Frau aus der Schönstraße erklärt hatte, stießen die beiden Kommissare Rossbaum und Gobert auf eine verschlossene Garage, deren Besitzer sich zuerst weigerte aufzusperren, und dann behauptete, er sei seit Tagen nicht mit seinem Auto unterwegs gewesen. Der Wagen war ein roter Opel Kadett, Baujahr 1982. Auf die Frage, warum er ihn in der Garage einsperre, sagte der Besitzer: »Damit ihn keiner klaut.« Das war nicht die Antwort, die Rossbaum und Gobert gefiel. Unverzüglich fuhren sie in die Tegernseer Landstraße, holten die junge Buchhändlerin, die Zeugin, aus der Arbeit und fuhren mit ihr in die Schönstraße, die nur zwei Kilometer entfernt lag. Dort wurde ihr Diensteifer allerdings nicht belohnt. Die Frau war sich nicht sicher, ob es das Auto war, das sie gegenüber der Buchhandlung vor der Metzgerei gesehen hatte; ausschließen konnte sie es immerhin nicht.
    Da der Mann sich weigerte, die Polizisten ins Haus zu lassen, nahmen sie ihn mit ins Dezernat, wogegen er sich erfolglos wehrte.
    Rossbaum und Gobert waren zum ersten Mal in einer Sonderkommission und hatten sich vorgenommen, zur Aufklärung des Falles entscheidend beizutragen. Wie nahe sie der Wahrheit durch die Begegnung mit August Emanuel Anz gekommen waren, begriffen sie erst viel später, als ihnen die Ereignisse über den Kopf gewachsen und sie zu Statisten in einer Tragödie geworden waren, die sie nicht hatten verhindern können.
    »Ihre Nachbarin, die Frau Mehlhaus, sagt, Sie stellen Ihr Auto normalerweise immer auf der Straße ab und nie in die Garage, außer im Winter, und da auch nur, wenn es viel schneit und friert. Warum haben Sie es dann in dieser Woche in die Garage gestellt? Das ist doch eine ganz einfache Frage, Herr Anz.«
    Volker Thon saß ihm gegenüber, flankiert von Paul Weber, Freya Epp und den beiden Riesenpolizisten Josef Braga und Sven Gerke, die wie zwei Säulen hinter August Anz standen und zu denen er sich gelegentlich, Unheil vermutend, umdrehte.
    Anz trug ein beiges Hemd, das Schweißflecken unter den Achseln hatte, und eine dunkle Hose; sein Jackett hing über der Stuhllehne; wenn er sich am Kopf kratzte, raschelten die Haarstoppeln, und er betrachtete jedes Mal seine Hand, als fürchte er, sich blutig gekratzt zu haben.
    »Die Frau Mehlhaus, die ist doch blind«, sagte er. Er hatte eine Tasse Kaffee vor sich stehen, die er nicht anrührte.
    Das Zimmer war klein und hatte nur ein niedriges Fenster, das sich genau hinter Anz befand. Dies war der einzige Raum, in dem die Polizisten vom ständigen Telefonklingeln und dem Rein und Raus geschäftiger Kollegen unbehelligt blieben.
    »Ich möchte Sie noch mal darauf hinweisen«, sagte Thon, »dass Sie hier nicht als Verdächtiger sitzen. Sie sind vielleicht ein wichtiger Zeuge, der uns weiterhelfen kann. Wenn Sie am Montag vor der Metzgerei Murr in der Tegernseer Landstraße Ihr Auto geparkt haben, dann geben Sie das zu, was soll das denn? Sie haben an dem Tag gearbeitet, das wissen wir doch schon alles. Sie waren mit Ihrem Kollegen Oberfellner auf dem Ostfriedhof.«
    »Selbstverständlich«, sagte Anz.
    »Wenn Sie den Jungen, den wir suchen, gesehen haben, sagen Sie’s uns. Wenn Sie mit ihm gesprochen haben, sagen Sie’s uns. Niemand wird Ihnen einen Strick draus drehen.«
    »Der Junge hat einen Schock, sein Großvater ist gestorben, den er sehr gemocht hat«, sagte Freya und rückte ihre Brille zurecht. »Und Sie haben auf dem Friedhof gearbeitet, also ist es doch gut möglich, dass Sie ihn gesehen haben.«
    »In der Zeitung hat gestanden, er war gar nicht bei der Beerdigung, wie soll ich ihn da gesehen haben?«
    »Er war dort«, sagte Thon. »Er war am Grab, er hat einen Brief am Grab seines Opas hinterlegt.«
    Weber warf ihm einen Blick zu und machte sich eine Notiz auf dem Schreibblock, dessen Rand er mit einem Rautenmuster verziert hatte.
Raphael: Zettel am Grab: er oder wer anderes,
schrieb er und schaute auf. Anz kratzte sich am Kopf, betrachtete seine Finger und legte die Hände in den Schoß.
    »Kollegen von uns sind gerade bei Ihrem Freund Oberfellner, mal sehen, was der uns zu berichten hat«, sagte Thon.
    »Der weiß dasselbe wie ich«, sagte Anz. »Wir waren die ganze Zeit zusammen. Da war kein Junge auf dem Friedhof.«
    »Aber die Beerdigung haben Sie bemerkt, oder nicht?«, sagte Weber.
    »Da sind dauernd

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