Die Erfindung des Abschieds /
zu beachten. »Er sagt, Sie hätten beide den Jungen nicht nur gesehen, sondern sogar mit ihm gesprochen.«
Weber und Süden wussten sofort, dass er bluffte, und Weber hielt das für keine gute Idee.
»Der spinnt«, sagte Anz. »Das ist ein Schmarrer.«
»Was ist der?«, fragte Thon.
»Ein Schmarrer! Ein Depp. Wir haben den Jungen nicht gesehen. Der macht sich wichtig, der will mich ärgern.«
»Wieso denn?«
»Weil wir Zoff haben, weil wir ein Problem haben.«
»Welches denn?«
»Eine Frau, eine Freundin von mir, er ist hinter ihr her, weil er geil auf sie ist. Er ist ein geiler Bock, und ein Schmarrer. Der hat doch keine Ahnung.«
»Sind Sie verheiratet, Herr Anz?«, fragte Süden und Thon vermied es, ihn anzusehen.
Sogar Freya, die über das Verhältnis zwischen den beiden nur Gerüchte kannte, bemerkte, wie verärgert Thon über die Frage seines Kollegen war, der so plötzlich hier aufgetaucht war.
»Nein«, sagte Anz, »warum?«
»Haben Sie Kinder?«
»Ich bin nicht verheiratet, das hab ich doch schon gesagt. Das haben mich Ihre Kollegen schon gefragt. Geht das jetzt von vorn los?«
»Haben Sie Geschwister?«
»Einzelkind.«
»Mögen Sie Kinder?«
»Sind Sie ein Psychiater oder so was?«
»Ich bin Polizist. Mögen Sie Kinder?«
»Mit Sicherheit.«
»Lieber Buben oder lieber Mädchen?«
»Wenn Sie’s genau wissen wollen: lieber Buben. Aber ich bin keiner von denen, die sich an so einem Kleinen vergreifen, so was find ich widerlich. Ich hab Buben lieber als Mädchen, weil man mit denen besser reden kann. So schaut’s aus, Herr Doktor.«
»Danke, Kollege«, sagte Thon zu Süden, »wir machen dann allein weiter.«
Süden war das Recht; nach all den reinen Düften der Natur hatte er sowieso das Gefühl, dass ihm dieser ölige Geruch die Nasenscheidewand verätzte.
Er ließ sich einen Wagen bereitstellen und machte sich auf die Suche nach seinem besten Freund.
»Müsst ihr auf der Vermisstenstelle jetzt schon eure eigenen Leute suchen?«, sagte Zacharias, während er leere Mineralwasserkästen nach draußen trug und volle hereinholte. In der
Nachtkantine
des Kunstparks Ost war um diese Zeit, gegen drei Uhr am Samstagnachmittag, kein Betrieb, und der Wirt hatte genügend Zeit, um hinter dem Tresen die Vorräte aufzufüllen. »Er hat sieben oder acht Bier getrunken und drei oder vier Orgasmus«, rief er vom Hinterhof und kam mit einer Ladung H-Milch-Tüten zurück, die er neben den Tellern mit den Orangen, Zitronen und Limonen platzierte.
»Was soll das sein, Orgasmus?«, fragte Süden und trank das Glas Mineralwasser aus, das ihm Zacharias auf die Theke gestellt hatte.
»Du weißt nicht, was ein Orgasmus ist?« Über das Gesicht des Wirts zog nicht das geringste Grinsen; um seinen Mund waren aber Falten, vielleicht lachte sein Mund heimlich, wenn Zacharias fest schlief.
Er erklärte dem Kommissar die Zusammensetzung des Getränks und meinte, nur sehr gesunde Naturen würden davon mehr als zwei pro Abend vertragen.
»Hast du mit ihm geredet?«, fragte Süden.
»Wozu denn? Er redet doch die ganze Zeit. Außerdem hat er sich irgendwann an einen Tisch gesetzt und da weitergetrunken. Er hat irgendwas aufgeschrieben. Ich hab keine Zeit gehabt, mich um ihn zu kümmern.«
»Was hat er geschrieben?«
Zacharias zuckte die Schultern.
»Kam er oft in letzter Zeit?«, fragte Süden.
»Öfter als du.«
»Ich war verreist. Hat er viel getrunken? Mehr als früher?«
»Tabor, das ist ein gastronomischer Betrieb, der die ganze Nacht aufhat, wer hierher kommt, kommt hierher, weil er was trinken will, und zwar ordentlich. Und so soll’s auch sein, verstehst du? Was ist los mit deinem Kumpel, hat er was angestellt?«
»Ich war jetzt schon in fünf Kneipen, und überall tut jeder so, als wäre Martin nur irgendein beschissener Gast, der in der Ecke sitzt und sich voll laufen lässt. Aber er war ein Stammgast, er gehörte praktisch zur Einrichtung in den Lokalen, in die er regelmäßig ging. Und jetzt will ihn kein Mensch gekannt haben! Seid ihr alle blind?«
Zacharias ging wieder hinaus und brachte einen Kasten Orangensaft mit. Er stellte die Flaschen in die Kühlung und zündete sich eine Zigarette an. »Er war da und auch wieder nicht«, sagte er und ließ den Kasten auf den Boden krachen. »So wie die meisten. Die kommen, quatschen ein bisschen, trinken was, manche mehr, manche weniger, manche quatschen auch mehr als andere, and so on, so what? Soll ich dir sagen, was ich von Martin
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