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Die Erfindung des Abschieds /

Die Erfindung des Abschieds /

Titel: Die Erfindung des Abschieds / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Beerdigungen, ich schau mir doch nicht jede Beerdigung an, ich bin Gärtner.«
    »Früher waren Sie Dreher, Herr Anz, warum haben Sie den Beruf aufgegeben?«, fragte Thon. Sie waren noch nicht so weit, um einen Durchsuchungsbefehl für die Wohnung zu bekommen, aber er hatte das sichere Gefühl, auf dem richtigen Weg zu sein. Er rieb an seinem Halstuch und roch an seinen Fingern.
    »Wollt was Neues machen«, sagte Anz. »In der Firma sind lauter Leute entlassen worden, und da war ich schneller. Die haben keinen Dreher mehr gebraucht, und das hab ich rechtzeitig mitgekriegt.«
    »Hat die Tatsache, dass Sie ein halbes Jahr wegen Diebstahl und Körperverletzung im Gefängnis saßen, Ihre Entscheidung, den Beruf zu wechseln, beeinflusst?«, fragte Thon und schob den Kassettenrecorder, der die Vernehmung aufnahm, ein Stück näher zu Anz.
    »Im Gefängnis? Ja, stimmt. Das ist aber ewig her, Herr Kommissar …«
    »Da haben Sie Recht, fast fünfzehn Jahre.«
    Niemand außer Thon hatte davon gewusst; wie schon öfter in ähnlichen Fällen hatte er in Windeseile den Computer durchforstet und sich mit der Biografie der Person vertraut gemacht – so weit sie aktenkundig geworden war.
    »Dann wurden Sie also Gärtner. Schöner Beruf.«
    »Sehr schöner Beruf, Herr Kommissar. Es gibt keinen schöneren. Vielleicht Polizist, da kenn ich mich nicht so aus.« Anz wollte einen Scherz machen, aber noch bevor er mit dem Satz zu Ende war, hatte er selber die Lust daran verloren. Ausdruckslos starrte er das Aufnahmegerät an, dann fuhr er herum, als drohe Gefahr von hinten, und schaute die beiden groß gewachsenen Polizisten an, deren Scheitel fast an die Decke stießen.
    »Alles okay«, sagte Braga und grinste breit. Anz spürte, wie ein Schweißtropfen aus seiner Achselhöhle den Arm hinunterkullerte. Warum grinste der Polizist so? Er griff nach der Kaffeetasse.
    »Herr Anz?«, sagte Thon.
    »Ja«, sagte Anz schnell.
    »Ich glaube, Sie lügen uns an, und das ist schlecht.«
    »Ich lüg nicht, Herr Kommissar, ich hab den Kleinen nicht gesehen, ich hab ihn nie gesehen. Außer in der Zeitung natürlich, da schon, in der Zeitung, aber nicht auf dem Friedhof, niemals.«
    »Und wenn Ihr Freund etwas anderes aussagt, was ist dann?«
    »Mein Freund? Der Oberfellner? Der sagt nichts anderes aus. Wieso denn? Der sagt das, was ich auch sag, weil er genau dasselbe gesehen hat wie ich.«
    »Würde es Ihnen was ausmachen, wenn wir uns mal Ihre Wohnung anschauen?«
    »Ja.«
    »Warum?«
    »Weil … weil ich nicht aufgeräumt hab. Und weil ich keine fremden Leute in meiner Wohnung mag, ich mag das nicht. Es ist nur eine winzige Wohnung da in der Schönstraße, zwei Zimmer, Küche, Bad und ein Flur, aber der zählt nicht, da steht nur Gerümpel.«
    »Sie würden uns sehr helfen, wenn Sie mit uns in Ihre Wohnung gehen würden«, sagte Thon scharf.
    »Ich bin hierher gekommen, obwohl ich das nicht hätt müssen, aber in die Wohnung nicht, nein!« Er kratzte sich hastig am Kopf und vergaß, seine Finger zu kontrollieren. Es war deutlich zu erkennen, dass er beschlossen hatte, von nun an zu schweigen oder nur belangloses Zeug zu reden. Er hatte sich unter Kontrolle, und für Thon wurde es Zeit, eine neue Phase der Vernehmung einzuleiten.
    »Bitte warten Sie hier, Herr Anz, ich muss kurz telefonieren.«
    »Ich will nach Hause.«
    »In ein paar Minuten, Herr Anz.«
    Braga und Gerke traten wie bei einem einstudierten Tanzschritt zur Seite, und Thon verließ das Zimmer. Weber wischte sich den Schweiß von der Stirn und schaute Anz eindringlich an; ihm war klar, dass dieser Mann etwas verheimlichte, aber er war sich nicht sicher, ob es das war, worauf sie alle hofften, dass er ihnen nämlich das Versteck des Jungen verriet. Vielleicht verschwieg ihnen dieser Mann etwas anderes, etwas, das mit dem Jungen gar nichts oder nur am Rande zu tun hatte. Er nahm den Filzstift in die Hand und schrieb:
Anz: Vorleben, nicht Vorstrafen.
    Einen Stock höher, im Dienstzimmer von Oberkriminalrat Funkel, kehrte Hauptkommissar Tabor Süden in sein altes Leben als Staatsbeamter zurück. Nachdem er bei Sonja in Milbertshofen übernachtet und geduscht hatte, war er um halb sieben in seine Wohnung in Giesing gefahren, hatte alle Fenster geöffnet und sich frische Sachen angezogen, eine dunkelrote Jeans, einen schwarzen Pullover und leichte braune Halbschuhe. Die Wohnung war ein muffiges Verlies, und er wollte sich später darum kümmern, später, wenn er wieder Polizist war; was

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