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Die Erfindung des Abschieds /

Die Erfindung des Abschieds /

Titel: Die Erfindung des Abschieds / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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lange war Martin bei Ihnen? Mein Chef sagte, etwa eine halbe Stunde, stimmt das?«
    »So ungefähr. Ich bin müde, Frau Feyerabend, ich kann Ihnen auch nicht mehr sagen als Ihrem Chef. Ich hab mir Sorgen gemacht, er sah übel aus, und er hat gestunken. Wir wissen alle, dass er manchmal länger als die Polizei erlaubt um die Häuser zieht, aber diesmal ist es anders. Ich muss Ihnen noch was sagen …«
    »Was?« Sie hatte die Tüte gefunden: leer. »So ein Mist!«
    »Bitte? Also, wir hatten eine Razzia, hier in der Wohnung. Ihre Kollegen haben unsere Zimmer durchsucht, weil sie gedacht haben, hier arbeiten irgendwelche Ausländer, stimmt aber nicht. Und Martin ist so erschrocken, dass er übers Dach getürmt ist. Er wollte sich auf keinen Fall erwischen lassen. Er war total nervös. Da ist doch nichts dabei, oder? Wahrscheinlich weiß doch bei euch sowieso jeder, was Martin nachts so treibt.«
    »Ist das zum ersten Mal passiert, dass er übers Dach abhaut?«
    »Nein, aber es ist lange her, zwei Jahre oder so. Damals hatten wir wirklich zwei illegale Tschechinnen hier, Scheiße …«
    »Ich sag’s nicht weiter«, sagte Sonja. Sie kniff die Augen zusammen, denn die Autos auf der anderen Straßenseite fuhren mit Fernlicht.
    »Die Mädchen sind schon lang nicht mehr bei uns, wir haben nur einem Freund einen Gefallen getan, ehrlich, das war nur kurzfristig, die sind längst wieder in Tschechien.«
    »Bestimmt sind sie das. Können Sie mir erklären, warum sich Martin ausgerechnet unter die Dusche gestellt hat?«
    »Nein.«
    »Hat er immer geduscht, wenn er zu Ihnen kam?«
    »Nein, er gehört zu den sauberen Kunden. Aber diesmal hat er ordentlich gestunken!«
    »Bitte rufen Sie mich sofort an, wenn Sie was von ihm hören.«
    »Ich mach mir echt Sorgen, so schlecht war er schon lang nicht mehr drauf.«
    Sonja steckte das Telefon in ihre Umhängetasche, die auf dem Beifahrersitz neben dem Kassettenrecorder lag, und warf einen Blick auf die Rückbank, auf der sich Süden ausgestreckt hatte.
    »Hast du eine Ahnung, wo er stecken könnte?«, fragte sie. Sie hatten die lange Gerade vor dem Autobahnende in München-Sendling erreicht, und die Phalanx der Scheinwerfer tauchte die Häuser in trübes Licht.
    »Morgen früh ist er wieder da«, brummte Süden. »Ich freue mich, ihn wieder zu sehen. Ich hab ihn vermisst. Und dann finden wir den Jungen. Raphael. Der Beschützer der Pilger. Raphael, der große Tröster.«
    »Schade, dass der jetzt nicht auf Martin aufpassen kann.«
    »Ich werd mich bei ihm entschuldigen und versuchen, ihm zu erklären, warum ich weggegangen bin und mich nicht gemeldet hab.« Er vergrub sein Gesicht unter den Armen.
    »Erklär’s ihm, er wartet seit Monaten darauf. Und dann erklärst du’s mir«, sagte Sonja, gab Gas und kam bei Gelb gerade noch über die Kreuzung am Luise-Kiesselbach-Platz.
    Sie war froh, wieder in der Stadt zu sein, unter Menschen, auch wenn zu dieser Stunde kaum jemand unterwegs war. Von der Rückbank kam leises Schnarchen, und Sonja nickte. In den vergangenen Monaten hatte es Nächte gegeben, da hatte sie sogar dieses Schnarchen vermisst.
    Sie drehte die Musik lauter. Sie hatte eine von Südens Kassetten aus dem Recorder genommen und in die Autoanlage gesteckt.
»Though laws were carved in marble, they could not shelter men, Though altars built in parliaments, they could not order men, Police arrested magic, and magic went with them, For magic loves the hungry«
, sang Buffy, und Sonja streckte den Arm nach hinten und berührte Tabors Bein.

8
    Kleine Welt am Ende
    A ls die Frau anrief, hielt er das, was sie sagte, zunächst für wichtigtuerisches Gerede; die Lokalseiten der Wochenendzeitungen strotzten vor Artikeln über Raphael Vogel und die Polizei, die nach Meinung der meisten Reporter überfordert war; ständig klingelte unter der Nummer, die extra für die Sonderkommission eingerichtet worden war, das Telefon. Volker Thon, der zufällig dran ging, als die Frau aus der Schönstraße anrief, notierte ihre Aussage und ihre Telefonnummer und bedankte sich routinemäßig, denn er gab nicht viel auf diese neuen Informationen, die er erst einmal nicht an die Pressestelle weiterleitete; deren Leiter, Hugo Baum, beantwortete seit gestern Nachmittag die unaufhörlichen Fragen der Journalisten immer auf dieselbe Weise: Nein, wir haben keine neue Spur. – Nein, der rote Opel ist noch nicht aufgetaucht. – Nein, wir haben noch keinen Verdächtigen.
    Das jedoch war eine Lüge. Oder,

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