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Die Erfindung des Jazz im Donbass

Die Erfindung des Jazz im Donbass

Titel: Die Erfindung des Jazz im Donbass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serhij Zhadan
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Soso. Und wie lange willst du warten?
    – Weiß nicht. Der Sommer ist lang.
    – Weißt du, Hermann, – sagte sie plötzlich und verscheuchte Wespen aus ihren Haaren, – wenn du willst, helfe ich dir.
    – Okay, – antwortete ich.
    – Aber ich will, dass du verstehst – nur geschäftlich. Klar?
    – Klar.
    – Was glotzt du dann schon wieder?
    Das Wasser spülte Zweige fort und kämmte das schwarze Gras auf dem Sandboden, die Insekten hingen auf dem Wasser fest, klebten an der pappigen Oberfläche, der zähe und sämige Nachmittagsfluss floss weniger, als dass er dauerte.
     
    Nach einiger Zeit gingen wir ans Ufer zurück und machten uns fertig. Olga bat mich wieder, nicht zu gucken, schlüpfte in einer unmerklichen Bewegung aus ihrem nassen Slip, drückte ihn in ihre Hand und streifte das Kleid über. Wir brachen auf, kletterten die Kreidehänge hoch und stiegen weiter bergauf, der abendlichen Sonne folgend, die bereits hinter die Hügel kullerte. Olga ging vor mir, den Slip in die linke Hand gepresst, das Kleid klebte an ihrem nassen Körper, und ich versuchte die ganze Zeit, nicht hinzugucken. An der Tankstelle ließ sie sich von Kotscha den leeren Korb geben, warf heimlich die Unterhose hinein, tuschelte mit dem Versehrten, worauf der mir einen strengen Blick zuwarf, setzte sich auf den Roller und löste sich in der abendlichen Luft auf, als wäre sie nie da gewesen.
    *
    Abends erzählte Kotscha mit rauer Stimme von seinen Weibern, ihrer Hinterhältigkeit, Dummheit und Zärtlichkeit, wofür er sie so liebte. Die Konserven gingen zur Neige, ich gab Kotscha Geld, der bestieg ein altes Fahrrad und radelte ins Tal, Futter holen. Ich blieb im Autositz und beobachtete, wie über der Straße rote Ströme flossen, die Luft von Staub und Dämmerung dichter wurde und der Himmel immer mehr wie Spaghetti mit Tomatensoße aussah.
    *
    Es waren merkwürdige Tage – ich war unter Leute geraten, meine alten Bekannten, von denen ich aber trotzdem nichts wusste, die mich argwöhnisch musterten, etwas von mir wollten und warteten, dass ich etwas unternähme. Sie waren wie erstarrt, lauerten, was ich sagen und tun würde. Das machte mir wirklich zu schaffen. Ich war gewöhnt, für mich selbst und für das, was ich tat, verantwortlich zu sein. Hier lag die Sache anders, hier gab es eine andere Verantwortung, sie hatte mich überfallen wie arme Verwandte auf Überraschungsbesuch, ich hätte sie zwar fortschicken können, aber das gehörte sich irgendwie nicht. Ich hatte mein Leben gelebt, meine Probleme selbst gelöst und versucht, meine Telefonnummer nicht ohne Not herauszurücken. Nur um mich plötzlich mitten in diesem Haufen wiederzufinden, der mich nicht so einfach wieder gehen lassen würde, ich musste etwas unternehmen und einen Ausweg suchen. Man zählte hier auf mich. Und das gefiel mir überhaupt nicht. Und vor allem hatte ich Lust auf eine heiße Pizza.
    *
    Am nächsten Tag, also am Freitag, erschien gegen Abend eine seltsame Gestalt, die sofort auf mich aufmerksam wurde, und auch mir stach sie ins Auge. Der Mann fuhr einen alten UAZ , wie sie früher die Agronomen und Fähnriche benutzten, er kam von Norden, war auf dem Weg zurück in die Stadt, trug wie ich eine Militärhose und ein Militär-T-Shirt in Tarnfarben. Auf dem Kopf saß eine Art SS -Helm. Er musterte mich misstrauisch und neugierig. Schüttelte Kotscha wortlos die Hand, entbot dem Versehrten einen militärischen Gruß, folgte ihm in die Werkstatt. Als er mein Bundeswehrhemd sah, kam er zu mir und grüßte.
    – Schönes Hemd, – sagte er.
    – Ganz okay, – stimmte ich zu.
    – Gute Qualität. Du bist Hermann?
    – Jawohl, – antwortete ich.
    – Koroljow? Der Bruder von Jurik?
    – Genau.
    – Vielleicht erinnerst du dich nicht an mich, ich hab mit deinem Bruder Geschäfte gemacht.
    – Hier haben alle mit meinem Bruder Geschäfte gemacht, – antwortete ich leicht genervt.
    – Wir hatten ein besonderes Verhältnis, – er betonte das Wort »besonderes«. – Er hat mir Kerosin abgekauft und es nach Polen vertickt. An die Bauern dort.
    – Wo denn, bei dir?
    – Auf dem Flugplatz.
    – Du arbeitest auf dem Flugplatz?
    – Auf dem, was davon geblieben ist. Ich heiße Ernst, – stellte er sich vor und reichte mir die Hand.
    – Was ist das denn für ein Name?
    – Mein Spitzname.
    – Und wie soll ich dich nennen?
    – Nenn mich Ernst. Daran habe ich mich gewöhnt. Was hast du studiert?
    – Geschichte.
    Sein Gesicht änderte sich. Er musterte mich

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