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Die Erfindung des Jazz im Donbass

Die Erfindung des Jazz im Donbass

Titel: Die Erfindung des Jazz im Donbass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serhij Zhadan
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ich Pause.
    – Lass uns baden gehen, – schlug sie vor. – Kotscha, – sie wandte sich dem Alten zu, – du hast doch nichts dagegen?
    Kotscha nahm einen großen Schluck als Zeichen für seine Zustimmung.
    – Na, kommst du mit? – Olga sprang wieder vom Roller und stieg den Hang hinunter. Mir blieb nichts anderes übrig, als aufzustehen und ihr zu folgen.
    Sie ging voran und suchte zwischen dichten Dornbüschen und jungen Maulbeerbäumen einen Pfad. Der Hang fiel steil ab, aus den Grashalmen stiegen Schmetterlinge und Wespen auf, um unsere Füße huschten smaragdgrüne Eidechsen. Ich kam kaum hinterher, das Laufen durch die glühend heiße Luft war eine Tortur. Das Grün wurde üppiger, das Tal tauchte mal hinter den hohen Ästen auf, mal versteckte es sich dahinter, manchmal verlor sich der Pfad, dann stieg Olga leichtfüßig ins Gras und drang vorwärts. Schließlich konnte ich mich nicht mehr auf den Füßen halten und kollerte wild fluchend den mit Beifuß bedeckten Hang hinunter.
    – Hey, was ist? – rief Olga von unten. – Alles klar bei dir?
    – Klar wie Kloßbrühe, – antwortete ich grimmig.
     
    Mir gefiel nicht, dass sie meine Erschöpfung bemerkt hatte und wie ich durchs Gras gekullert war und dass ich bei ihrem Tempo nicht mithalten konnte. Na komm schon, dachte ich, komm her und reich mir deine helfende Hand. Es hat doch bestimmt einen Grund, dass du mich in dieses Dickicht geschleppt hast. Komm schon, komm her zu mir.
    Aber sie dachte gar nicht daran. Stand irgendwo unten, hinter den Halmen, unsichtbar und vom schnellen Lauf erhitzt, stand und wartete, also musste ich aufstehen, mir den Sand aus den Taschen schaufeln und ihrem Atem folgen. Wortlos gingen wir weiter. Der Fluss lag gar nicht so nahe bei der Tankstelle, es wäre einfacher gewesen, die Straße zu nehmen, aber stur wich Olga Bäumen und Sträuchern aus, wand sich durch das Gestrüpp, übersprang hier einen Tierbau, da ein Loch, bis der Pfad jäh endete: Unten, direkt unter uns, glitzerte der Fluss. Olga setzte den Fuß vor und rutschte den steilen Kreidehang hinunter zum Wasser. Todesmutig kollerte ich hinterher. Am Ufer war ein kleines Fleckchen Sand, ganz von Schilf umgeben.
    – Bloß nicht gucken, – sagte sie. – Ich habe keinen Badeanzug.
    – Seh ich doch, – antwortete ich.
    Sie streifte ihr langes Kleid ab, darunter trug sie nur einen weißen Slip, und stieg ins Wasser. Ich wollte mich umdrehen, schaffte es aber nicht rechtzeitig.
    – Und schwimmen kann ich auch nicht, – sagte sie, bis zum Hals im Wasser.
    – Ich auch nicht, – antwortete ich, warf meine Panzerschützenrüstung ab und folgte ihr.
    Das Wasser war warm, die Kreideklippen warfen die Sonnenstrahlen zurück und erwärmten es, in so einem Wasser wollte man sich gar nicht bewegen.
    – Ich, – sagte Olga, – hab mal in einem Pionierlager als Betreuerin gearbeitet. So circa fünfzig Kilometer von hier. Und jeden Tag mussten eine Kollegin und ich die Pioniere aus dem Fluss fischen.
    – Als Wasserleichen oder wie? – ich kapierte nicht.
    – Wieso Wasserleichen? Normale lebendige Pioniere. Sie schwammen ins Schilf und versteckten sich dort bis abends. Sie wussten, dass wir nicht schwimmen konnten. Kannst du dir vorstellen, was das für eine Verantwortung war?
    – Kann ich, – sagte ich. – Und ich habe in diesem Fluss mit Freunden Fische betäubt.
    – Gibt es hier Fische?
    – Nein. Trotzdem haben wir sie betäubt.
    – Ach so, – sagte Olga. In ihrem roten Haar glitzerten kupfern die Tropfen, und im warmen Wasser glätteten sich die Fältchen um ihre Augen. – Hast du viele Freunde hier?
    – Ja. Jugendfreunde.
    – Was unterscheidet die von anderen Freunden?
    – Sie können sich an vieles erinnern.
    – Hermann, du hast Komplexe.
    – Und ob. Ganz viele sogar. Ich kann zum Beispiel nicht schwimmen.
    – Ich kann auch nicht schwimmen, – sagte Olga brüsk. – Aber Komplexe hab ich deswegen keine.
    – So wirst du auch ertrinken – ohne Komplexe.
    – Ich werde nicht ertrinken, – sagte Olga. – Man kann nicht in einem Fluss ertrinken, in dem man sein ganzes Leben gebadet hat.
    – Vielleicht hast du Recht. Bloß dass es schon lange her ist, dass ich hier gebadet habe.
    Auf der Wasseroberfläche liefen Insekten, wie Angler im Winter auf dem grauen Eis.
    – Was hast du beschlossen? – Olga hielt es nicht aus. – Wegen der Tankstelle.
    – Ich weiß nicht. Abwarten. Ich hab Zeit. Vielleicht kommt mein Bruder ja zurück.
    –

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