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Die Erfindung des Jazz im Donbass

Die Erfindung des Jazz im Donbass

Titel: Die Erfindung des Jazz im Donbass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serhij Zhadan
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also.
    – Du machst das nicht, oder?
    – Keine Sorge, versprochen.
    – Hermann, überleg’s dir gut, bevor du eine Dummheit machst, okay?
    – Okay.
    – Denk an uns, deine Freunde.
    – Ich denke an euch.
    – Bevor du Mist baust.
    – Aber klar.
    – Überleg’s dir, Hermann, ja?
    – Sicher.
    – Na dann, Bruder. Wir mögen dich.
    – Ich mag euch auch, Borja. Alle beide. Dich sogar noch mehr.
    – Red keinen Scheiß, – endlich legte er auf.
    – Ja, ja, – rief ich in den Hörer, aus dem kurzes Tuten ertönte, – ich vermisse dich auch! Sehr sogar!
    *
    Danach wählte ich paar Mal die Nummer meines Bruders. Aber der meldete sich einfach nicht. Die Sonne überflutete den Raum, Staub stand in der Luft, die von Fischen aufgewirbeltem Flusswasser glich. Ich schaute aus dem Fenster und spürte, wie sich der warme Junileib herabsenkte auf alles Lebendige an dieser Straße. Was weiter? Ich könnte noch mal ins Tal hinabsteigen, versuchen, Freunde und Bekannte zu finden, die ich seit hundert Jahren nicht mehr gesehen hatte, mit ihnen reden, fragen, was sie so machen und wie es ihnen geht. Ich könnte noch heute lostrampen, einfach weg aus dieser Hölle der tausend Strahlen und Erinnerungen, die die Lungen verstopften, die Augen blendeten. Am einfachsten wäre es natürlich, den ganzen Laden zu verkaufen. Die Knete mit Geschäftspartnern zu teilen. Mein Bruder würde mir das vermutlich nicht mal übel nehmen. Und wenn schon – er hatte mir wenig Alternativen gelassen. Ich könnte auch noch ein bisschen bei Kotscha rumhängen, solange es noch warm war und die Hechte an die Angel gingen, ich könnte so tun, als wolle ich helfen, und die Laster betanken. Aber früher oder später würde ich mich um den Papierkram kümmern müssen, um die Steuererklärung und solchen Mist, den ich mein Leben lang von mir ferngehalten hatte. Jetzt kam es mir seltsam und unvernünftig vor, dass die Firma auf meinen Namen lief, mein Bruder musste alles vorausgesehen haben, anders als ich rechnete er vorher immer alles durch, aber warum er mich so reinreiten wollte, begriff ich einfach nicht. Und noch viel weniger – warum er verschwunden war, ohne etwas zu sagen, ohne Anordnungen hinterlassen zu haben: Tu, was du willst, hieß das doch, mach dir keinen Kopf, verkauf einfach, gib alles an die Armen, wenn du magst, überschreib die Firma einem Kinderheim, sollen die doch die ganzen Cowboy-Karren mit Benzin betanken, oder steck die Bude einfach an, samt allen Dokumenten, und ab nach Hause, wo treue Freunde und interessante Aufgaben warten. Er hatte aber keine Anordnungen hinterlassen. War einfach verschwunden, wie ein Tourist aus dem Hotel, und hatte mich auf diese sonnengeteerten Anhöhen gezerrt, wo es mir schon als Kind nicht gefiel, seit ich mich erinnern kann, habe ich mich hier unwohl gefühlt, all die Jahre, die ich hier zubringen musste, bis zu jenem wunderschönen Herbsttag, als ich mit den Eltern endlich wegzog, nachdem unser Vater, pensionierter Angehöriger einer unnützen Armee, eine Wohnung bei Charkiw zugewiesen bekommen hatte. Mein Bruder blieb, er wollte nicht mit, wollte nicht mal darüber reden, sagte stur, er werde bleiben. Er hat uns diese Flucht wohl nie verziehen. Er sprach nie offen darüber, aber ich spürte immer eine gewisse Distanz, insbesondere den Eltern gegenüber, die aufgegeben und dieses Tal aus Sonne, Sand und Maulbeerbäumen verlassen hatten. Er blieb, verschanzte sich auf den Hügeln und feuerte in alle Richtungen, nicht bereit, auch nur eine Handbreit Boden aufzugeben. Eine absolut unbegründete Dickköpfigkeit, die ich nie verstanden habe, er konnte sich bis zuletzt an ein kahles Stück Erde klammern, ich zog mich vor der Leere zurück, wollte sie loswerden. Und jetzt hatte das Leben alles nach seinen eigenen Vorstellungen gerichtet: Er hockte in Amsterdam, und ich saß auf diesem Hügel fest, von dem man das Ende der Welt zu sehen meinte, und dieses Ende gefiel mir überhaupt nicht.
    *
    Kotscha sah völlig entkräftet aus, er saß im Schleudersitz und wehrte sich lasch gegen einen Fernfahrer, einen alten Bekannten, der genauso lasch versuchte, Kotscha zur Arbeit zu animieren, das heißt, ihn vor dem langen Weg zu betanken. Ich trat hinaus und übernahm. Die Sonne roch nach Benzin und hing wie eine Benzinbirne über unseren Köpfen.
    *
    Die Arbeit brachte eine gewisse Ruhe und Ordnung in meine aufgewühlten Gedanken. Wenn du zu tun hast, denkst du weniger an die Korridore der Zukunft, die du ohnehin

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