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Die Erfindung des Jazz im Donbass

Die Erfindung des Jazz im Donbass

Titel: Die Erfindung des Jazz im Donbass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serhij Zhadan
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durchschreiten musst. Ich half meinen Partnern, werkelte bis abends unter dem orangefarbenen Junihimmel herum, dann holte Kotscha Konserven hervor, drehte ein paar Joints und setzte sich meine Kopfhörer auf. Still und entspannt saßen wir unter den Apfelbäumen und spürten auf der Haut, wie die Sonne unterging und vom Fluss Frische aufstieg. Als es ganz dunkel geworden war, packte der Versehrte zusammen, wusch sich am vorsintflutlichen gelben Plastikwaschbecken, besprühte sich mit Parfum. Zog sein schwules weißes Hemd an und ging ins Tal hinunter, zum goldenen Leuchten der Elektrizität und zu den Fliederschatten in den Gässchen, wo an Fenstern, die in die schwarze und frische Nacht geöffnet waren, seine Geliebten warteten.
    *
    Die frische Luft und der süße Hasch machten den Schlaf tief und gleichmäßig wie ein altes Flussbett; die sonnenverbrannte Haut kühlte bis zum Morgen aus, obwohl das Laken noch lange die vom Körper abgegebene Wärme speicherte. Am Morgen weckte mich Kotscha mit seinen Anekdoten, machte Frühstück und schickte mich nach draußen Zähne putzen. Das Ganze erinnerte mich an einen mehrtägigen Schulausflug, ich war komplett aus der Zeit gefallen, hatte plötzlich Urlaub, eine Tankstellenkreuzfahrt, und irrte jetzt ziemlich belämmert zwischen grasbewachsenen Autoreifen und rostigen Metallteilen umher, in denen Feldvögel nisteten. Der Versehrte sah mich weiter argwöhnisch, aber nicht mehr allzu streng an; am nächsten Abend, schon am Mittwoch, holte er wieder den Ball, fischte zwei Farbeimer aus der Werkstatt, stellte mich in das improvisierte Tor und feilte lange an seinem Linksschuss rum. Einige Fahrer erkannten mich, grüßten, fragten, wie es mir ginge, ob ich lange bliebe und wo mein Bruder sei. Ich vermied direkte Antworten, alles okay, obwohl mir klar war, dass das nicht stimmte. Aber wen sollte das was angehen?
    *
    Am Donnerstagnachmittag tauchte Olga auf. Sie kam auf ihrem Roller angefahren, einen großen Flechtkorb über der Schulter. Der Korb schlug gegen den Lenker und störte sie beim Fahren. Olga überholte leichtsinnig einen Laster, bog von der Straße ab, brauste bis zur Tankstelle und stoppte vor uns. Kotscha und ich saßen in den Autositzen und waren mit dem Verscheuchen der aufdringlichen Wespen beschäftigt, die uns umschwirrten, benommen vom Duft des Tabaks und Rasierwassers. Olga sprang vom Roller, umarmte Kotscha und nickte mir zu.
    – Du bist noch hier? – fragte sie.
    – Ja, – antwortete ich, – hab beschlossen, Urlaub zu machen. Unbezahlten.
    – Alles klar, – sagte Olga. – Was machen deine Freunde?
    – Was für Freunde?
    – Die mit dem Jeep.
    – Ach die. Bei denen ist alles okay. Unglaublich nette Leute übrigens.
    – Im Ernst? – fragte Olga zweifelnd.
    – Sie haben Musik aufgelegt und mir ihre Freundschaft angeboten.
    – Und?
    – Die Musik? Der letzte Scheiß.
    – Und was ist mit der Freundschaft?
    – Ich überlege noch, – gab ich zu.
    – Aha, – sagte Olga kalt. – Hier, Kotscha, bitte, – sie reichte dem Alten den Korb und ging in die Werkstatt zum Versehrten. Kotscha konnte sich nicht einmal bedanken.
    Im Korb war frisches Brot und Milch in einer Cola-Flasche aus Plastik. Kotscha brach vergnügt ein Stück Brot ab und zermalmte es mit den gelben, kräftigen Zähnen eines alten Hundes. Reichte mir die Milch. Ich winkte ab. Der Roller blendete mit seinen weißen Flanken und wärmte sich in der Sonne schnell auf. Im Tal war es still, zwischen den Bäumen flatterten Vögel, als versuchten sie, in der Luft die am wenigsten aufgewärmten Stellen zu finden.
    Nach einiger Zeit kam Olga wieder aus der Werkstatt heraus. Hinter ihr her schnaufte der Versehrte in Arbeitskleidung und tupfte sich den Nacken mit einem schneeweißen Tuch trocken. In der Hand hielt er irgendwelche Papiere, die er offensichtlich gerade von Olga bekommen hatte, wedelte damit verärgert in der Luft herum und versuchte, Olga etwas zu erklären. Sie aber hörte überhaupt nicht hin.
    – Schura, – sagte sie, – was willst du denn von mir?
    Der Versehrte zerknüllte die Blätter, steckte sie in die Jackentasche, schüttelte die Fäuste und verschwand in der Werkstatt.
    – Was ist los? – fragte ich für alle Fälle.
    – Nichts, – antwortete Olga kurz. Stieg auf den Roller, ließ ihn an, saß eine Weile und machte den Motor wieder aus. – Hermann, – sagte sie, – hast du gerade viel zu tun?
    – Ziemlich, – stammelte ich. – Aber im Moment mache

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