Die Erfindung des Jazz im Donbass
von Kopf bis Fuß, hakte sich bei mir unter, führte mich aus der Werkstatt, weg von Kotscha und dem Versehrten, die verwundert guckten.
– Weißt du, Hermann, – er hielt mich weiter untergehakt und zog mich weg von der Tankstelle. – Ich habe auch Geschichte studiert. Diese Arbeit auf dem Flugplatz, das ist einfach so gekommen. Wo hast du studiert?
– In Charkiw.
– Fakultät für Geschichte?
– Fakultät für Geschichte.
– Und wo hast du Praktikum gemacht?
– Bei Charkiw.
– Ausgrabungen?
– Ausgrabungen.
– Und was kannst du zum Thema »Totenkopf« sagen?
– Was für ein Kopf?
– Totenkopf. Es gab so eine Division.
– Na, – ich wurde unsicher. – Nichts Gutes.
– Folgendes, Hermann, – er presste meinen Ellenbogen, dass es weh tat. – Du musst unbedingt zu mir auf den Flugplatz kommen. Ich werde dir die Augen öffnen.
– Inwiefern? – fragte ich verständnislos.
– In Bezug auf alles. Du schnallst ja gar nichts.
– Aber du?
– Ich schon. Ich, Hermann, hab alles von hier bis zum Donbass umgegraben. Also, Folgendes: ich erwarte dich am Montag. Kommst du?
– Ich komme, – willigte ich ein.
– Findest du es?
– Klar.
– Also, abgemacht.
Er machte energisch kehrt und ging zu seinem UAZ . Trat zu Kotscha, drückte ihm das Geld fürs Benzin in die Hand und stieg ein.
– Bis Montag! – rief er zum Abschied.
Als sich der Staub hinter ihm gelegt hatte, trat ich zu Kotscha.
– Wer war das? – fragte ich.
– Ernst Thälmann, – antwortete Kotscha vergnügt, – der beste Freund der deutschen Jungen Pioniere.
– Was soll dieser Name?
– Der Name ist doch okay, – grinste Kotscha. – Er ist der Mechaniker vom Flugplatz.
– Vielleicht kenne ich ihn.
– Hier kennt jeder jeden, – wie ein Echo nahm Kotscha etwas auf, das in der Luft lag.
– Er hat uns aus irgendwelchen Vorratsbehältern am Flugplatz Spiritus eingeschenkt. Vor zwanzig Jahren oder so, – begann ich mich zu erinnern.
– Na, siehst du, – stimmte Kotscha zu.
– Und warum Ernst?
– Er hat hier das halbe Tal umgegraben, auf der Suche nach deutschen Panzern.
– Nach Panzern?
– Mhm.
– Wozu braucht er Panzer?
– Keine Ahnung, – gestand Kotscha. Zur Selbstbestätigung. Er sagt, hier seien ein paar Panzer liegen geblieben. Die sucht er. Er hat daheim ein ganzes Nazi-Depot angehäuft: Maschinenpistolen, Granaten, Orden. Aber er ist kein Nazi, – informierte Kotscha. – Deswegen Ernst Thälmann.
– Alles klar. – Ich hatte kapiert.
– Ein deutscher Panzer, – fügte der Versehrte hinzu, der auf einmal neben uns stand, – bringt einen Haufen Kohle. Nur dass er hier für den Arsch nix finden wird.
– Warum denn nicht? – fragte ich.
– Harry, – sagte Schura genervt, – das ist doch kein Sack Kartoffeln, das sind sechzig Tonnen Stahl. Wie will er die ausgraben – mit einer Pionierschaufel oder was? Okay, an die Arbeit.
Der Versehrte drehte sich missmutig um und verschwand in der Werkstatt. Ich stapfte ihm nach. Sechzig Tonnen Stahl sind wirklich kein Sack Kartoffeln, überlegte ich.
*
Ich stellte fest, dass einem die Arbeit, wenn auch vielleicht nicht Vergnügen, so doch wenigstens das Gefühl redlicher Pflichterfüllung schenken kann. Zum letzten Mal hatte ich in der dritten Klasse ein ähnliches Gefühl, als wir zur Apfelernte in die Kolchosplantagen abkommandiert worden waren und im kalten Septembergras fleißig nach den schweren heruntergefallenen Früchten suchten. Samstags kamen mehr Autos als sonst. Sie fuhren nach Norden, in Richtung Charkiw. Kotscha zählte fröhlich den Zaster und machte sich Sorgen, ob die Benzinvorräte reichen würden, weil der Tankwagen erst Anfang nächster Woche erwartet wurde.
*
Gegen Mittag, als die Schlange kürzer wurde und die Sonne auf ihren höchsten Stand geklettert war, zog ich die schweren Handschuhe aus, sagte Kotscha Bescheid, dass ich für eine Stunde weg wäre, und ging, weit abseits von der Straße, den Hügel entlang. Ich weiß selbst nicht, wohin ich wollte, am ehesten wohl einfach den ganzen Kram für eine Weile hinter mir lassen und durch die malerische Gegend schlendern. Ich stieg einen Abhang hinunter und auf der anderen Seite wieder hinauf. Fand mich dort in endlosen Maisfeldern wieder, die sich bis zum Horizont erstreckten und dahinter vermutlich weitergingen. Hier gab es keinen Weg, also lief ich einfach weiter, die Sonne im Rücken und nicht im Gesicht. Die Landschaft war salatgrün vom jungen
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