Die Erfindung des Lebens: Roman
anderer Erzählungen verknüpfte und dann mit der Zeit, ohne dass man einen besonderen technischen Aufwand betrieben hätte, beherrschte.
Ein solcher Unterricht war für mein damaliges Können geradezu ideal, ja er war sogar derart auf die besonderen Ticks meines Gehirns abgestimmt, dass sich die ersten Erfolge bereits nach wenigen Wochen einstellten. Bestimmte musikalische Phrasen rückwärts zu spielen, sie in eine andere Tonart zu verwandeln, sie über mehrere weitere Tonarten wieder zur Ausgangstonart zurückzuführen – das waren Nummern, die mein Kopf in Windeseile durchspielte und an denen meine Finger eine größere Freude hatten als an den eher mechanischen Übungen, die meine Mutter mir aufgegeben hatte.
Dass das Klavierspiel vor allem eine Sache des Kopfes und der Fähigkeit, sich die Noten vorzustellen, einzuprägen und sie nach Belieben neu zusammenzusetzen, war, hatte ich immer geahnt, ich hatte nur nicht über die richtigen Grundlagen verfügt, mit dieser Fähigkeit umzugehen. Das aber änderte sich durch Fornemanns Unterricht, den ich jedes Mal wie im Taumel und daher eher wie eine Zirkusdarbietung als einen typischen Klavierunterricht erlebte.
Fornemann aber wiederum hatte schnell bemerkt, an was für einen Schüler er da geraten war, es war in der Tat ein seltsamer Kopf mit verqueren Eigenheiten und kaum durchschaubaren Operationen. Jetzt spielen wir dieses D-Dur-Präludium von Bach einmal in a-Moll, sagte er und lachte, wenn ich eine solche Aufgabe fehlerfrei und ohne Nachdenken bewältigt hatte. Jetzt machen wir aus dieser kleinen Aria einmal eine kleine Gavotte , erhöhte er den Schwierigkeitsgrad und entfernte sich von seinem Platz neben dem Flügel, um meine Improvisation aus der Ferne zu verfolgen …
Meine Mutter hat mir später einmal erzählt, wie Fornemann damals von mir geschwärmt habe. Ein solches Talent hatte er noch nie gesehen, ein solches Talent musste überall vorgeführt und genauer untersucht werden!
Deshalb wurde der Einzelunterricht zunächst auf zwei und später sogar auf drei Stunden ausgedehnt, und deshalb begann Fornemann, sich während des Unterrichts Notizen zu machen. Er wollte dahinterkommen, wie mein Hirn arbeitete, ja er wollte darüber sogar einmal etwas Längeres schreiben!
Daneben aber machte er sich rasch zunutze, dass ich keine Scheu vor öffentlichen Auftritten hatte und vor solchen Auftritten nicht aufgeregt war. Wenn er den Mund halten darf und nichts sagen muss, ist er keine Spur aufgeregt, erklärte er einmal einer Jury, der ich im Rahmen eines Wettbewerbs vorgespielt hatte. Er tat, als wäre ich seine Schöpfung und als wüsste er alles über mich, und er beeindruckte all die vielen Juroren, vor denen ich damals antrat, mit seinen Kommentaren wahrscheinlich noch mehr als ich sie mit meinem Spiel.
Die Folge dieser rauschhaften Zusammenarbeit waren die ersten Preise und Ehrungen, kleine, glänzende Pokale, die in einem Glasschrank untergebracht und regelmäßig abgestaubt und geputzt wurden. Ich machte mir nicht viel aus all diesen Preisen, nein, sie bedeuteten mir wirklich nicht viel, denn ich hatte nach meinem Empfinden bei solchen Wettbewerben keine richtige Konkurrenz. Natürlich gab es immer wieder Konkurrenten, die technisch ebenso gut oder sogar besser waren als ich, sie spielten aber meist unglaublich nervös, verhedderten sich hier und da und machten, wenn sie zum Beispiel mit einer Beethoven-Sonate kämpften, einen unangenehm überforderten Eindruck.
Passabel gespielt, aber nichts kapiert, nannte Fornemann ein solches Spiel, um kurz danach vor den Juroren damit anzugeben, wie sehr zum Beispiel gerade meinem Spiel doch Haydns Kompositionen lägen. Ich wette, er spielt Haydns Sonaten besser als Haydn sie selbst gespielt hat , behauptete Fornemann, und die Juroren, die so etwas bereits für eine brillante Bemerkung oder auch einen guten Witz hielten, lachten, ohne zu ahnen, dass Fornemann so einen Satz ernst meinte.
So traten wir beide als eine Art Duo auf, Fornemann kommentierte und brillierte mit seinen von allen als geistreich bezeichneten Einfällen, ich aber blieb stumm, setzte mich ungerührt an jeden Flügel, spielte fehlerfrei und improvisierte, auf ausdrückliches Bitten der Jury , zum Abschluss meines Auftritts außerhalb des Wettbewerbs. Dass solche Arrangements außerhalb des Wettbewerbs sehr dazu beitrugen, den Wettbewerb zu gewinnen, war Fornemann und mir natürlich bewusst, ich wunderte mich nur
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