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Die Erfindung des Lebens: Roman

Die Erfindung des Lebens: Roman

Titel: Die Erfindung des Lebens: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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und ich befand mich in jenem lang gestreckten, dunklen Flur einer Kölner Mietwohnung, in der ich dieses Chanson zum ersten Mal und dann immer wieder gehört hatte. Meine Mutter war in der Küche und ging dort auf und ab, meine Mutter hörte ihr Lieblingschanson und kochte.

28
     
    WALTER FORNEMANNS Plan für meine weitere Zukunft war eine Zeit lang in unserer Familie ein beinahe tägliches Gesprächsthema. Vor allem meinem Vater leuchteten Fornemanns Vorschläge ein, und da er nicht gern nur rein theoretisch über sie nachdachte, reisten wir zu dritt nach Süddeutschland und schauten uns dort das Musik-Internat an, das Fornemann für mich ausgesucht hatte und das er für eines der besten in Deutschland hielt.
    Das Internat war in einem großen Klosterbezirk mit Klosterkirche, Klostergarten und barockem Klosterbau untergebracht und wurde in der Tat von Zisterzienser-Mönchen geleitet. Der zuständige Abt, der auch gleichzeitig der Direktor des Internats war, empfing uns kurz vor Mittag in seinen Privaträumen und hielt einen etwa halbstündigen, erstaunlich nüchternen Vortrag, in dem mehrfach davon die Rede war, dass an dieser Schule nur die Besten der Besten willkommen seien, dem einmal Aufgenommenen aber dafür auch alle Fürsorge und Aufmerksamkeit der Lehrenden gelte.
     
    Meine Eltern waren nach diesem Vortrag eigenartig stumm, Mutter sagte beinahe gar nichts, sondern bat nur darum, sich den sonst unzugänglichen Kreuzgang einmal anschauen zu dürfen, und Vater informierte sich derart sachlich über die monatlichen Zahlungen, die Unterrichtspläne und die jährlichen Ferien, als wollte er nicht seinen einzigen Sohn in diesem Internat unterbringen, sondern Material für eine Dokumentation sammeln.
     
    Ich selbst erlebte diese Stunden in einer starken Anspannung, ja ich war sehr nervös, zeigte diese Nervosität aber nicht, sondern ging still und wie abwesend hinter den Eltern her. Ein jüngerer Mönch führte uns in die Kirche und später auch in den Kreuzgang, man zeigte uns das Refektorium, die Bibliothek und die Schulräume, eigentlich machte alles einen beeindruckend soliden und weiträumigen Eindruck, und doch benahmen wir drei uns etwas seltsam, als wollten wir uns von dem, was wir sahen, auf keinen Fall allzu sehr mitreißen lassen.
    Vater war es dann, der dem Abt kurz vor unserer Verabschiedung ganz unerwartet den Vorschlag machte, mich ein Stück vorspielen zu lassen, anscheinend wollte er dem Abt noch eine Andeutung darüber entlocken, ob meine Bewerbung überhaupt Chancen hatte. Der Abt lehnte diesen Vorschlag sofort ab, nein, darauf könne er nicht eingehen, solche Vorab-Prüfungen würden schon allein deshalb nicht durchgeführt, weil sonst mit einem wahren Ansturm von Eltern zu rechnen sei, die ihr Kind ebenfalls einmal testen lassen wollten.
    Erst nach diesen ablehnenden Worten des Abts schaltete sich meine Mutter in das Gespräch ein, indem sie dem Abt erklärte, dass sie noch einige persönliche und eher private Fragen habe und darum bitte, diese Fragen kurz mit ihm allein besprechen zu dürfen. Weder Vater noch ich ahnten, was sie meinte, wir sagten zu ihren dunklen Sätzen aber weiter nichts, sondern warteten noch eine Weile in dem Klosterhof des Kreuzgangs, bis Mutter ihre Unterredung mit dem Abt beendet hatte.
    Als sie wieder mit ihm erschien, hatte er seine Einstellung zu uns merklich verändert, er wirkte interessierter, ja geradezu passioniert, und er erklärte zu unserem Erstaunen, dass er eine Ausnahme machen werde und ich vor dem Abschied noch ein von mir ausgewähltes Stück spielen dürfe.
    Seine Worte erinnerten mich an unsere erste Begegnung mit Walter Fornemann, damals hatte Mutter es mit viel Geschick bereits einmal geschafft, dass ich jemandem, der dies eigentlich gar nicht wollte, vorspielen durfte. Was aber hatte sie jetzt dem Abt erzählt? Mit Ausführungen über die besonderen Schönheiten der französischen Musik konnte sie ihn doch nicht überzeugt haben! Was also war es gewesen?
     
    Ich habe in meinem Leben immer wieder erlebt, dass Mutter andere Menschen auch in nur sehr kurzen Gesprächen von etwas überzeugen konnte. Ihre starke Wirkung war zum einen sicher eine Folge jenes ruhigen und melodiösen Tons, von dem ich schon erzählt habe. Jeder, der diesen Ton hörte, wurde zum Zuhören gezwungen, aber er tat es gern, als folgte er einer Verlockung.
    Daneben bestand Mutters Wirkung wohl aber auch darin, dass sie in ein Gespräch immer wieder sehr grundsätzliche Sätze

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