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Die Erfindung des Lebens: Roman

Die Erfindung des Lebens: Roman

Titel: Die Erfindung des Lebens: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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darüber, wie leicht die Juroren es Fornemann machten, sich mit seinen Zusatz-Wünschen und dem Zirkusdirektoren-Talent, das er in großem Maße besaß, durchzusetzen.
     
    In meiner Familie brachte mir das alles nicht nur Anerkennung und Bestätigung ein, meine Mutter und mein Vater waren vielmehr nun überzeugt, dass meine ganze Zukunft im Klavierspiel liege. Johannes wird einmal ein Stern am Pianistenhimmel, hatte Fornemann meiner Mutter gesagt, wohingegen er mir kein einziges lobendes Wort sagte, sondern meist nur bestätigend, und als habe er nichts anderes erwartet, nickte, wenn das Publikum nach einem meiner Auftritte begeistert klatschte.
    Und ich?! Genoss ich das alles nicht auch? Machte es mir nicht Freude, derart anerkannt zu werden? Ja, schon, es machte mir Freude, aber ich war noch nicht sicher, ob ich auch wirklich für den Beruf des Pianisten geeignet war und es am Ende tatsächlich zu etwas Großem bringen würde.
    In meinem Innern nagte nämlich eine gewisse Skepsis, und diese Skepsis hatte damit zu tun, dass ich mich eher als Mitglied eines Zauberer-Duos denn als eigenständige Erscheinung am Flügel wahrnahm. Walter Fornemann zauberte mit mir, und er wusste mit mir auch wahrhaftig zu blenden. Ich aber fragte mich, ob dem Publikum mein Spiel auch gefallen würde, wenn es hinterher nicht zu hören bekam, dass diesem Kind dort vor Ihnen, meine Damen und Herren, ein neuer Schluss der zweiten Fuge des ›Wohltemperierten Klaviers‹ eingefallen ist, die unseren Großmeister Johann Sebastian Bach sehr verblüfft hätte. Und warum hätte sie ihn verblüfft?! Weil sie besser ist als seine eigene! …
     
    Von solchen Zirkus-Nummern waren die Auftritte der großen Pianisten, die ich zusammen mit meinem Vater etwa in Salzburg oder Wien erlebte, weit entfernt. Ich liebte diese Auftritte auf großer Bühne sehr, meist stand in ihrer Mitte nichts anderes als der schwarze, glänzende Flügel, die Rückenpartie weit geöffnet, als gäbe er sich vollkommen preis.
    Minuten vor dem Beginn eines Konzerts gab es in den großen Konzertsälen noch ein aufgeregtes Hin-und-HerLaufen, Begrüßungen wurden ausgetauscht, Programme herumgereicht, dann aber setzte endlich eine gewisse Ermattung ein, als wäre das gesamte Publikum auf einen Schlag erschöpft. Man setzte sich, man fuhr sich noch einmal durchs Haar, man räusperte sich – und die Mienen erstarrten, als legte sich die allmählich einziehende, schwere Stille auf sie.
     
    Am schönsten war aber dann der Moment, in dem der Pianist auf der Bühne erschien! Alle Blicke hefteten sich an seine Gestalt und begleiteten sie bis zum Flügel. Dort fand die erste, flüchtige Berührung statt, eine Kontaktaufnahme, ein erstes Streicheln, ein Touchieren des Holzkörpers! Dann das Platznehmen auf dem Klavierhocker und das Justieren seiner Höhe! Und schließlich der kurze, unmerkliche Ruck der Überwindung, heraus aus der körperlichen Zurückhaltung und Erstarrung!
     
    Von so feierlichen und ernsten Auftritten war ich noch weit entfernt, und ich zweifelte, ob ich es jemals so weit bringen würde. Dennoch mochte ich den Unterricht Walter Fornemanns sehr, es war ein Unterricht, den ich immer als sehr lebendig, ja geradezu erregend empfand. Mit der Zeit lernten wir, einander blind zu verstehen, und mit der Zeit begriff ich auch, was er mit seinen seltsam pointierten Wendungen und Sätzen meinte. Wie üblich notierte ich auch sie in meinen Schreibbüchern: Das C-Dur-Präludium des ›Wohltemperierten Klaviers‹ ist ein reines Rhythmus-Stück und daher etwas für Maurer und Dachdecker … Schumanns ›Von fremden Ländern und Menschen‹ hört sich an, als schilderte eine ältere Frau ihren Enkeln Länder, in denen sie selbst niemals war … Beethoven hatte nur selten musikalische Einfälle, er begnügte sich damit, mehrmals auf dieselbe Taste zu schlagen …
    Das alles ging mir durch den Kopf, während ich Marietta zuhörte, die sich am ersten Satz von Bachs Italienischem Konzert zu schaffen machte. Irgendwer hatte ihr gesagt, dass dies eine bedeutende Komposition sei, doch niemand hatte ihr erklärt, warum das so war. Was von einem solchen Missverhältnis übrig blieb, war ein im Leeren rotierender Fleiß und eine Hartnäckigkeit, die in keinem Verhältnis zu der sich entziehenden, verborgenen Schönheit des Stücks stand. Diese Schönheit konnte Marietta in ihrem jetzigen Alter noch nicht begreifen, nein, sie hatte einfach noch nicht die richtige Aufnahmefähigkeit für so

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