Die Erfindung des Lebens: Roman
vorne begann, manchmal hängen blieb, und es dann wieder eher zufällig schaffte, die Passage zu spielen, ich schaute zum Fenster hinaus auf das entschiedene Blau, das oberhalb der Häuser lauerte, als ich mich plötzlich an jenen Klavierunterricht erinnerte, der mein Klavierspiel und mein Üben so sehr verändert hatte.
Er begann noch in meiner Volksschulzeit, als sich meine Mutter nach unserer Rückkehr vom Land und der Wiederaufnahme ihres Berufs als Bibliothekarin nach einem Klavierlehrer für mich umgeschaut hatte. Durch Hinweise von Bekannten war sie auf einen Klavierpädagogen aufmerksam geworden, der damals in Köln bereits einen guten Ruf besaß. Er hieß Walter Fornemann und unterrichtete Musik an einem Kölner Gymnasium, galt zu dieser Zeit aber auch als ein ausgezeichneter Pianist, der an der Musikhochschule eine kleine Klasse von ausgewählten Schülern betreute.
Walter Fornemann war ein sehr lebendiger und ungemein ehrgeiziger Mensch. Man sah ihm den Ehrgeiz sofort an, wenn man seine raschen Bewegungen, seine Direktheit und die Zielstrebigkeit mitbekam, mit der er jede Sache anpackte. Der Unterricht an Gymnasium und Musikhochschule genügte ihm nicht, nebenbei war er noch als Dirigent tätig und veröffentlichte schließlich auch noch musiktheoretische Bücher, die wohl den größten Anteil an seinem schnell wachsenden Ruhm hatten.
Meine Mutter hatte mit Walter Fornemann telefoniert und von ihm bereits eine beinahe definitive Absage erhalten, nein, Walter Fornemann wollte ein so junges Kind nicht unterrichten, nein, Walter Fornemann hatte für Anfängerstunden überhaupt keine Zeit. Immerhin hatte er sich aber darauf eingelassen, dass ich mich kurz vorstellen durfte, ja, nun gut, meine Mutter durfte mit mir einmal erscheinen, ich durfte ein kleines Stück spielen, und Walter Fornemann würde eine Empfehlung im Hinblick auf einen geeigneten Klavierlehrer aussprechen. Walter Fornemann hatte keine Ahnung, wozu er sich bereiterklärt hatte, denn nur wenige Minuten, nachdem er Mutter gesehen hatte, war er ihr auch schon verfallen. Sie sprach von ihrer Vorliebe zur französischen Musik, sie sprach von Berlioz, Debussy und Ravel, vor allem aber trug sie einen strengen, schwarzen und langen Mantel und dazu eine dunkle, schräg auf den schönen Kopf gesetzte Kappe.
Ihr Aussehen und ihre Worte harmonierten auf eine derart perfekte Weise, dass man ein Filmbild vor sich zu haben glaubte, Walter Fornemann konnte der Magie dieses Bildes nicht widerstehen, nach zehn Minuten sprachen die beiden miteinander auch französisch und gingen so vertraut miteinander um, als spielten sie gerade in einem Film von Jean Renoir.
So war unser Anliegen bereits auf dem besten Wege, als ich Platz nehmen und Klavier spielen durfte. Mutter bat mich, die erste Arabeske von Claude Debussy zu spielen, es handelte sich um ein Stück, das ich sehr mochte und wohl damals mit einem gewissen Kindercharme spielte.
Walter Fornemann stand mit dem Rücken zum Fenster und schaute mich an, als ich zu spielen begann, nach zwei, drei Minuten drehte er sich um und stand nun mit dem Rücken zu mir, und so blieb er auch die ganze Zeit regungslos bis zum Schluss des Stückes stehen.
Als ich damit fertig war, zeigte er keinerlei Reaktion, er spendete keinen Beifall, ja er lobte mich nicht einmal, obwohl ich nach meinem eigenen Eindruck gut gespielt hatte. Auch meine Mutter sagte nichts zu meinem Spiel, sondern sprach weiter über Debussy und die Eigenheiten seiner Klavierstücke, als wäre ich nur ein Demonstrationsobjekt für eine angeregte musiktheoretische Debatte zwischen Walter Fornemann und ihr.
Ich hatte mich bereits darauf eingestellt, unverrichteter Dinge wieder nach Hause zu gehen, außerdem war ich ein wenig darüber verärgert, dass Walter Fornemann mit mir kein einziges Wort sprach und mich nicht einmal aus Höflichkeit irgendeine Kleinigkeit fragte.
Dann kam er aber doch auf mich zu und fragte, ob ich ihm noch ein zweites Stück vorspielen wolle. Als ich nickte, fragte er weiter, von welchem Komponisten ich nun etwas spielen werde. Ich schaute ihn trotzig an und antwortete: Das bestimmt Herr Fornemann.
Das bestimme ich? , lachte er, und ich spürte in diesem Lachen einen leichten Hohn, als glaubte er nicht, dass ich bereits ein kleines Repertoire mit Stücken vieler bekannter Komponisten beherrschte. Nun gut , sagte er, dann spiel uns doch eine Komposition von Frédéric Chopin!
Walter Fornemann konnte nicht ahnen,
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