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Die Erfindung des Lebens: Roman

Die Erfindung des Lebens: Roman

Titel: Die Erfindung des Lebens: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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ganz gewiss nicht, aber sie sei doch etwas unruhig, und im Fall einer solchen Unruhe habe sie sich einfach nicht mehr im Griff. Die Folge davon sei manchmal, dass sie auf irgendeine Weise peinlich reagiere, das aber wolle sie diesmal vermeiden, und zwar dadurch, dass sie mit mir zusammen ein Glas Campari trinke.
     
    Ich war einverstanden, schloss die Tür hinter mir zu und ging hinüber in die gegenüberliegende Wohnung, auf deren Namensschild es noch immer eine Familie Caterino mit Sergio, Antonia und Marietta gab. Ich setzte mich zu Antonia in die Küche, wir tranken Campari und versuchten, etwas zu plaudern, währenddessen bereitete Antonia eine Pizza vor, angeblich, um Marietta eine besondere Freude zu machen, in meinen Augen aber, um sich etwas abzulenken.
    Ich tat, als machte es mir nichts aus, ihr etwas zu helfen, und schnappte mir einen kleinen Korb mit Zwiebeln und Knoblauch, um eine Portion davon in winzigste Stücke zu schneiden. Auf dem Herd blubberten frische, gute Tomaten vom Markt, das Küchenfenster stand offen, die letzte Abendsonne fiel noch herein. Hätten wir nicht beide laufend an Marietta und ihr Fernbleiben gedacht, wäre es eine friedliche, schöne Szene gewesen, ein Betrachter hätte Antonia und mich sogar für ein Paar halten können, das mit all seinen eingeübten Handgriffen und seiner stillschweigenden Vertrautheit jederzeit ein Paar für eine Pasta-Werbung im Fernsehen hätte abgeben können.
    Statt diesen Eindruck zu erhalten, steuerte Antonia jedoch zu den harmonischen Bildern einen Text bei, der von den schwankenden Interessen junger Mädchen, ihrer Orientierungslosigkeit und ihrem angeblichen Hang zu Extremen handelte. Je länger Marietta fortblieb, umso dramatischer und leider auch theoretischer redete Antonia, schließlich erging sie sich in der Schilderung von dubiosen Fällen an ihrer Schule, die alle in einer Katastrophe geendet hatten.
     
    Man kann sich daher vorstellen, wie erleichtert ich war, als kurz vor neunzehn Uhr Vater Sergio anrief und mitteilte, dass Marietta auf dem Rückweg von ihrem Tennis-Spiel bei ihm vorbeigekommen sei und nun auch bei ihm übernachten wolle. Antonia war von ihren fehlgeleiteten furchtbaren Phantasien und Ängsten derart erschöpft, dass sie ohne Gegenrede zustimmte, natürlich könne das Kind bei seinem Vater übernachten, warum nicht?, sie habe sich ein klein wenig Sorgen gemacht, aber, nun gut, sie wolle Mariettas Wünschen nicht im Wege stehen. Das Gespräch dauerte nicht lange und endete mit ein paar Vereinbarungen für den kommenden Morgen, danach legte Antonia das Telefongerät beiseite und fuhr sich mit dem Rücken der rechten Hand über die Augen, ich schaute kurz hin, konnte aber nicht entdecken, dass sie den Tränen nahe war.
     
    Vor uns auf dem Tisch lag auf einem großen Holzbrett ein gewaltiger, gerade erst aufgegangener Hefeteig für die Pizza, auf dem Herd kochten die Tomaten, und auf meinem Platz türmte sich ein Berg mit klein geschnittenen Zwiebeln und Knoblauch. Bereits in dem Moment, als Antonia das Gespräch beendet hatte, wirkte all das jedoch wie Makulatur. Im Grunde wollten Antonia und ich doch gar keine Pizza essen, und im Grunde wollten wir auch nicht kochen.
    Ich musste lachen und sagte ihr, dass unsere Bemühungen in meinen Augen etwas Rührendes hätten, eigentlich hätte ich nämlich gar keinen Appetit auf Pizza. Antonia begann auch sofort zu lachen und ging dann zum Herd, um die Flamme abzustellen. Danach räumte sie den Teig sowie die Zwiebeln und den Knoblauch beiseite, ich half ihr, die Sachen zu verpacken und in den Kühlschrank zu stellen, doch während wir noch dabei waren, hielt Antonia plötzlich einen Moment inne und sagte: Wie schön, Johannes, jetzt sind wir endlich einmal allein.
    Ich hatte alles verstanden, jedes Wort hatte ich gehört, und doch hörte sich das alles in meinen Ohren noch nach etwas anderem an, ja, genau, es hörte sich an wie eine direkte Fortsetzung ihrer nächtlichen Bemerkung: Seit anderthalb Jahren hatte ich keinen Sex!
    Durch einen einzigen, auf den ersten Blick unschuldigen Satz herrschte in der Küche plötzlich eine andere Atmosphäre. Wir waren nicht mehr das besorgte und treu sorgende Paar, das für seine Kinder eine gute Pizza zubereitet, nein, wir waren Mann und Frau, die man gerade aus ihren Einzel-Käfigen gelassen hatte, ohne zu bedenken, dass beide eine Weile keinen Sex mehr gehabt hatten.
     
    Ich antwortete nicht sofort, denn mit mir ist es in solchen Momenten

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