Die Erfindung des Lebens: Roman
trügt, es ist ein flüchtiger, oberflächlicher Blick, es ist der Blick von Lesern, die sich leicht täuschen lassen. All die Leser jedoch, die mich auch privat etwas genauer kennen, bemerken während der Lektüre meiner Bücher sehr schnell, an welchen Stellen ich mich wieder in meine privaten Obsessionen verstrickt habe. Ich selbst fürchte diese Stellen, denn natürlich fürchte ich, dass ich gerade in solchen Passagen etwas allzu Privates oder Intimes preisgebe.
Das Private oder Intime besteht übrigens nicht unbedingt darin, dass ich auf Details meines Lebens zu sprechen komme, nein, keineswegs, von solchen Details lässt sich vielmehr durchaus leicht und distanziert erzählen, und zwar gerade deshalb, weil sie Teile einer Erzählung und damit einer offenen Mitteilung sind. Das wirklich Intime dagegen ist unter der Oberfläche versteckt, es sitzt im Untergrund der Details, es arbeitet mit versteckten Andeutungen, mit winzigen Spuren und Fährten …
Genug davon, verdammt! Was denke ich über die Untiefen meiner Romane nach, ich wollte doch von dem Abend mit Antonia erzählen! Reden wir von Dir , hatte Antonia gesagt, und ich hatte die Aufforderung sofort als eine Bedrohung oder Überschreitung einer Grenze verstanden. Kein Wunder also, dass es mir in Antonias Küche zu eng wurde und ich sofort reagierte, indem ich sie betont locker, und als käme mir gerade ein glänzender Einfall, zum Essen einlud. Antonia erwiderte, dass sie keine Lust habe, ins Zentrum zu fahren und auch keine Lust, lange spazieren zu gehen, sie wolle sich mit mir unterhalten, dazu habe sie Lust. Ich tat, als ginge es mir genauso, obwohl ich mir gerade von einer Metro-Fahrt ins Zentrum bereits einige Übergänge zu anderen Gesprächs-Themen versprochen hatte. Ich kam aber gar nicht mehr dazu, noch weitere Vorschläge zu machen, denn Antonia machte unserem Hin und Her einfach ein Ende, indem sie sagte: Komm, Johannes, dann gehen wir ins Cantinone!
Ich kannte das Restaurant Il Cantinone genau, bereits mehrere Male hatte ich mittags oder abends allein in ihm gegessen, denn es liegt direkt am Markt, so dass man auch als allein essender Gast ein sehr lebendiges Umfeld für seine Beobachtungen hat. Das Essen dort besteht in einer einfachen, römischen Küche, ja die Küche ist sogar typisch für dieses Viertel rund um den alten Schlachthof, weil man in ihm noch immer jene Mahlzeiten (wie etwa Innereien verschiedenster Art) bekommt, die es früher in den alten Trattorien nach frischen Schlachtungen gegeben hat.
Ich kehrte noch einmal kurz in meine Wohnung zurück und holte mir eine Jacke, dann gingen Antonia und ich zusammen die Treppe herunter, wir sagten beide nichts, aber ich hatte das Gefühl, als empfänden wir in diesem Moment eine besondere Verbundenheit, wie ein Paar, das gemeinsam eine schwierige Situation erlebt und gut überstanden hatte. Unten auf der Straße glaubte ich dann sogar, dass Antonia sich bei mir einhängen wollte, sie machte jedenfalls eine kurze Geste in dieser Richtung, ließ es dann aber doch sein, als traute sie sich einfach noch nicht. Und so überquerten wir nebeneinander, und ohne uns zu berühren, den inzwischen bereits leicht erleuchteten Platz und gingen in das Restaurant, wo im Außenbereich noch ein Ecktisch frei war.
Eine Mahlzeit wie die, die nun folgte, habe ich noch nie erlebt. Denn in ihrem langen, bis weit nach Mitternacht dauernden Verlauf kam es immer wieder zu durchaus ernst gemeinten Versuchen von meiner Seite, etwas von mir zu erzählen. Die meisten Anläufe dazu brach ich unauffällig ab und kam nicht wieder auf das jeweilige Thema zurück. Als ich aber in einem stillen Moment darüber nachdachte, warum das so war, erkannte ich zum ersten Mal in voller Klarheit, dass es jedes Mal um Geschichten und Themen ging, die in irgendeiner Weise zurück in meine frühste Kindheit geführt hätten.
So war das also! Ich umging diese Kindheit um jeden Preis und konnte anscheinend nur von Zeiten und Zusammenhängen erzählen, bei denen ich keine Verbindung zu meiner Kindheit herstellen musste.
Als noch überraschender empfand ich dann aber eine weitere Entdeckung, die ich kurze Zeit später machte: Ich konnte nämlich durchaus von mir und meinem Leben berichten, wenn ich dazu überging, Ausschnitte aus meinem Roman so zu erzählen, als fielen mir diese Geschichten gerade erst ein. Natürlich erwähnte ich in so einem Fall mit keinem Wort, dass es sich um Roman-Ausschnitte handelte, und
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