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Die Erfindung des Lebens: Roman

Die Erfindung des Lebens: Roman

Titel: Die Erfindung des Lebens: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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zusammengeblieben, und vielleicht wäre es uns gelungen, die Misstöne in unserer Liebe zu beheben. Das aber ist nicht geschehen, nein, unsere Liebe begann sich vielmehr genau von jenem Moment an aufzulösen, als mein Klavierprojekt scheiterte und damit das Schlimmste passierte, was für mich überhaupt hätte passieren können.

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    ERSTE VORZEICHEN bemerkte ich beim nachmittäglichen Üben in einem der Überäume, es war ein plötzlicher, stechender Schmerz im rechten Handgelenk und im Unterarm, ich dachte zunächst an eine Verspannung oder eine Verrenkung und kühlte die Hand unter kaltem, fließendem Wasser. Als ich danach weiterspielte, rötete sie sich schnell und schwoll oberhalb des Handgelenkknochens an, ich blickte entnervt auf das, was ich da sah, ich empfand es als lästige Störung und dachte allen Ernstes, es könne sich um einen Insektenstich oder etwas ähnlich Harmloses handeln.
    Als ich mich wenig später mit Clara traf und ihr das geschwollene Handgelenk zeigte, wusste sie sofort, dass es sich um eine Sehnenscheidenentzündung handeln musste. Sie kannte das Leiden von einer Kommilitonin, die nach einem Stenografiekurs eine solche Entzündung bekommen hatte und niemals richtig davon geheilt wurde. Ich hörte mir an, was sie sagte, und ich sah, wie aufgeregt sie mit einem Mal war. Johannes, das kann das Ende Deines Klavierspiels bedeuten, sagte sie hastig und sichtlich nervös, Johannes, das ist eine sehr schlimme Geschichte!
    Und ich? Ich nahm die angeblich schlimme Geschichte nicht ernst, nein, ich suchte nicht einmal eine Apotheke auf, um mir ein schmerzlinderndes Mittel zu beschaffen. Dabei brannte die Hand noch an demselben Abend abscheulich, es war ein bohrender, intensiver Schmerz, der starke Kopfschmerzen hervorrief und sich auch auf andere Partien des Körpers ausdehnte.
    Ich aber wollte nicht glauben, dass ausgerechnet mir so etwas zustoßen konnte, nein, ich hielt mich für unverletzbar, weil mein ganzes bisheriges Leben ja aus fast nichts anderem als dem Klavierspiel bestanden hatte. Wenn ich nicht mehr Klavier spielen konnte, war alles aus, es durfte aber nicht alles aus sein, nein, auf keinen Fall, selbstverständlich nicht …, und weil alles nicht aus sein durfte, durfte ich auch nicht krank sein, auf keinen Fall …
     
    In der ersten Nacht nach Claras Diagnose konnte ich nicht schlafen. Ich lag in meinem Bett und kühlte die entzündete Hand mit etwas Eis. Es half aber nicht, der Schmerz ließ nicht nach, nur die Rötung und die Schwellung gingen ein wenig zurück.
    Am nächsten Morgen jedoch sprach ich davon, dass das Schlimmste vorbei sei, auch die Schmerzen, behauptete ich, seien zurückgegangen, alles sei nicht mehr der Rede wert, ich würde wieder üben, so wie bisher, so wie immer. Clara hatte inzwischen einen Arzttermin für mich vereinbart, sie machte sich große Sorgen, ich aber tat, als wäre bereits alles vorüber, ja, als brauchte man über das Thema nicht mehr zu reden.
    Als ich am Nachmittag wieder in meinem Überaum saß, zuckte ich schon nach den ersten Akkorden zusammen. Jetzt nämlich war es nicht nur so, dass der stechende Schmerz sich sofort meldete, nein, ich konnte nicht einmal mehr richtig die Tasten anschlagen, sondern brachte nur noch einen schwachen und darüber hinaus noch elend verrutschten Akkord hervor. Wenn das so war, musste ich härtere Mittel anwenden!
    Ich verließ das Zimmer und suchte eine Apotheke auf, ich tat, als hätte ich den Fuß verstaucht und deshalb schlimme Schmerzen, man gab mir ein starkes schmerzlinderndes Mittel, und ich nahm die dreifache Menge von dem, was mir der Apotheker geraten hatte. Wann ist der Schmerz denn vorbei? , hatte ich ihn gefragt, und er hatte von einer Stunde gesprochen. Also setzte ich mich in ein Café und wartete eine Stunde, der Schmerz musste jetzt nachlassen, ja er musste verschwinden, ich redete mir das immer wieder ein.
     
    Nach einer Stunde glaubte ich wahrhaftig, kaum noch etwas zu spüren, na bitte, dieser Schmerz war wohl wie ein Fieber, er flog einen an und ließ sich genau so schnell wieder vertreiben, so dachte ich. Oben in meinem Überaum sah alles nach wenigen Minuten aber anders aus.
    Ich hatte so geübt, wie ich immer geübt hatte, ich hatte mir keine Schonung auferlegt, und prompt bekam ich dafür die Quittung. Der Schmerz wurde so stark, dass ich aufstand und ans Waschbecken floh, ich drehte den Wasserhahn auf, ich kühlte wieder die Hand, ich nahm einen Schluck Wasser, und plötzlich

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