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Die Erfindung des Lebens: Roman

Die Erfindung des Lebens: Roman

Titel: Die Erfindung des Lebens: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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da wurde es mir zu viel.
    Ich nahm die Platte und brach sie mitten durch, dann gab ich die beiden Hälften an Clara zurück und sagte: Schenk mir so etwas nie wieder! Schenk mir überhaupt nichts mehr! Und lass uns endlich nach Südtirol gehen, um Deinen Eltern in der Wirtschaft zu helfen …
     
    Dort unten, dort unten neben dem Schuhgeschäft hat sie immer auf mich gewartet, ich sagte es schon. Wenn ich auf der Straße ankam, haben wir uns geküsst und standen dann eine Weile in so enger Umarmung, dass sich die halbe Umgebung wegen dieser Szene verzehrte. Ein Schnalzen, ein Zischen, ein paar Zoten, es machte uns nichts, wir achteten darauf nicht weiter …
     
    Jetzt hatten mich all diese Szenen doch noch ereilt! Dabei hatte ich so viel, ja alles dafür getan, nicht mehr an Clara erinnert zu werden!
    Ich schloss das Fenster des Überaums, wusch mir die Hände, nahm einen Schluck Wasser und ging hinunter auf die Straße. Rasch eilte ich an dem Schuhladen vorbei, Antonia und Marietta warteten längst auf mich.

42
     
    IN DIESEN Tagen bin ich sehr damit beschäftigt, das kleine Konzert auf dem Platz vor unserem Haus vorzubereiten, das ich Marietta versprochen habe. Im Grunde ist es das Konzert, das unsere gemeinsamen Klavierstunden beendet, denn eine Woche nach dem Konzert wird die junge, neue Lehrerin mein Amt übernehmen, und ich werde nur noch von ferne hören, wie Marietta ein Stück von Bach oder eine Komposition von Cole Porter spielt.
    Bei all diesen Aktivitäten habe ich jedoch nicht das Gefühl, lediglich meine Pflicht zu tun oder ein nun einmal gegebenes Versprechen auch zu erfüllen, nein, ich spüre genau, dass mich dieses Konzert selbst sehr beschäftigt. So bin ich zum Beispiel zu den verschiedensten Verleihern von Konzertflügeln gegangen und habe dort einige Instrumente getestet, ich wollte keinen Steinway , wusste andererseits aber auch nicht, was es denn stattdessen sein sollte.
    Schließlich entschied ich mich für einen Bösendorfer und damit für einen Kammermusik-Flügel, das Instrument ist etwas kleiner als die üblichen großen Konzertflügel, hat jedoch einen unvergleichlich weicheren, geschmeidigen Ton, der zu dem Programm, das Marietta eingeübt hat, sehr gut passt.
     
    Das Ausprobieren der Instrumente aber bereitete mir ein so starkes Vergnügen, dass ich gar nicht aufhören wollte, wieder Klavier zu spielen. Ich erzählte niemandem etwas davon, sogar Antonia und Marietta gegenüber vermied ich jede Andeutung, fuhr aber alle zwei Tage unter einem Vorwand ins historische Zentrum, um mich nach einigen Alibi-Rundgängen und kleineren Einkäufen ins Conservatorio zu begeben. Im dortigen Sekretariat kannte man mich nun bereits, man begrüßte mich freundlich und gab mir sogar bereitwillig einen Schlüssel, wenn ich darum bat, für eine Stunde oder zwei in einem der Überäume proben zu dürfen.
    Proben … , ja, ich sagte wahrhaftig proben . Das Wort war mir herausgerutscht, eigentlich hätte ich üben sagen müssen, fand aber wohl, dass üben nicht das richtige Wort für einen Mann meines Alters war. Ein Mann in einem gewissen Alter mit einer langen Vorgeschichte übte nicht mehr, sondern er probte , ja, er probte selbst dann, wenn er überhaupt nicht vorhatte, wieder aufzutreten.
    Das aber hatte ich natürlich nicht vor, nein, ich dachte daran nicht im Geringsten, obwohl man mich im Sekretariat sogar zweimal daraufhin angesprochen hatte. Proben Sie für ein Konzert? , hatte die Sekretärin mich nämlich gefragt und dabei so getan, als habe sie keinen Zweifel, dass ich bald auftreten werde. Ich stellte die Sache aber nicht klar, sondern erklärte hinhaltend, dass ein Konzerttermin noch nicht feststehe. Gerade diese Auskunft hatte die Neugierde des Sekretariats jedoch derart angestachelt, dass die Sekretärin sogar heimlich die Direktion des Conservatorio informiert hatte.
     
    Ich saß kurz vor Mittag in einem Überaum und spielte Schumann, ich probte Carnaval und den Faschingsschwank , als ich durch ein Klopfen unterbrochen wurde. Ich öffnete die Tür einen Spalt und schaute auf den Flur, als ich den Direktor der Institution erkannte. Darf ich Sie einen Augenblick stören? , flüsterte er.
    Ich nahm an, dass er mich bitten wollte, einen finanziellen Obolus für mein Proben und Üben zu entrichten, ja, ich schloss sogar nicht aus, dass er mich bitten wollte, auf weitere Aufenthalte in den Überäumen ganz zu verzichten. Für beides hätte ich Verständnis gehabt, schließlich war ich nichts

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