Die Erfindung des Lebens: Roman
anderes als ein entlaufener und gescheiterter Ehemaliger , der sich in fortgeschrittenem Alter noch einmal an den Jünglingsstücken Schumanns berauschte. Wie war es überhaupt dazu gekommen, dass ich mich wieder in diesem Conservatorio herumdrückte? Wie konnte ich mich derart gehen lassen und einem unbestimmten, nervösen Drang folgen?
Ich hätte mich beinahe auf der Stelle entschuldigt, als der Direktor wie ein Geheimbündler den kleinen Raum betrat und nicht aufhörte zu flüstern. Warum flüstert er bloß so?, dachte ich, was ist nur mit ihm? Er redete zunächst von früher und sprach davon, dass er von meiner Vorgeschichte als ehemaliger Schüler dieser Institution gehört habe. Gleichzeitig habe er jedoch auch mein Spiel gehört, dieses Spiel sei ja unüberhörbar, und es sei ein gutes, nein, ein sehr gutes Spiel. Die Sekretärin habe ihm mitgeteilt, dass es sich um Proben für ein Konzert handle, natürlich handle es sich darum, das hätte ihm die Sekretärin erst gar nicht mitzuteilen brauchen, wichtiger sei da schon die Mitteilung gewesen, dass ich über den genauen Termin und den genauen Ort nicht sprechen wolle. Er habe für eine derartige Geheimhaltung großes Verständnis, erlaube sich jedoch, einen Vorschlag zu machen. Er mache mir nämlich hiermit den Vorschlag, im Konzertsaal des Conservatorio mit einem Programm meiner Wahl zu einem Termin meiner Wahl aufzutreten. Er könne mir versprechen, ein solches Konzert gut vorzubereiten und breit zu bewerben, insgeheim habe er für diese gewiss Aufsehen erregende Veranstaltung auch bereits einen Titel. Die Rückkehr eines Meisterschülers , so wolle er den Abend nennen, denn ein solcher Titel beinhalte meine Geschichte. Ihr Spiel hat eine Geschichte!, rief er zum Schluss sogar so laut, dass ich grinsen musste. Was hätte er bloß gesagt, wenn er die ganze Geschichte und nicht nur die vom Abbruch meines Studiums durch eine Erkrankung gekannt hätte!
Anstatt jedoch diesem Zirkus gleich ein Ende zu machen, antwortete ich, dass ich mir seinen Vorschlag durch den Kopf gehen lasse und ihm sehr für seine Begeisterung danke. Zwei, drei Wochen solle er mir Zeit lassen, dann werde ich mich bei ihm melden, bis dahin aber wolle ich proben , in Ruhe und möglichst ohne dass jemand sonst davon erfahre.
Der Direktor willigte ein, natürlich werde niemand von meinen Proben erfahren, und natürlich lasse er mir Zeit, den Vorschlag zu durchdenken. Er bitte nur darum, ihn über meine künftigen Auftritte zu informieren, er wolle in dieser Hinsicht Bescheid wissen, ja, er müsse Bescheid wissen, unbedingt.
Als er wieder verschwunden war, war ich so durcheinander, dass ich nicht mehr spielen konnte, das Angebot war sehr verlockend, obwohl ich nicht wusste, ob ich noch einmal die Kraft haben würde, wochenlang für ein Konzert zu proben, das mich überdies sentimental und nostalgisch als einen heimgekehrten Sohn des römischen Conservatorio präsentieren würde.
Glücklicherweise war Mittag, und ich hatte ein wenig Hunger, deshalb schloss ich das Fenster des Überaums, lief die Treppe herunter und verließ das Gebäude. Selbst unten auf den Straßen wirkten die Worte des Direktors aber noch nach, ich hatte mit einem derartigen Vorschlag nicht gerechnet, nein, dieses Angebot hatte mich aus heiterem Himmel erwischt. Eigentlich kam ein solcher Auftritt überhaupt nicht in Frage, andererseits aber schmeichelte mir das Angebot, ja ich konnte doch nicht so tun, als sei mir das Ganze vollkommen gleichgültig.
Ich ging durch die Gassen in der Nähe der Spanischen Treppe, jetzt öffneten gerade die Restaurants, die Tische wurden eingedeckt und die Küchenfenster weit aufgerissen, von Minute zu Minute verwandelte sich diese Gegend nun immer mehr in ein einziges Herdfeuer, dessen Flammen von Küche zu Küche übersprangen. Die ersten Gäste hatten schon an den kleinen Tischen im Freien Platz genommen, ich ging an den langen Tischreihen entlang und überlegte, ob ich irgendwo Platz nehmen sollte, tat es dann aber doch nicht, sondern ließ mich eine Weile treiben.
Früher war ein Besuch von Restaurants nicht möglich gewesen, ich hatte kein Geld dafür gehabt, deshalb war ich nur wie ein Voyeur in diesen Genuss-Zonen unterwegs gewesen, ohne etwas anderes zu mir zu nehmen als kaltes Wasser.
Ich hatte die Restaurants und Lokale aber keineswegs links liegen gelassen, nein, ich hatte sie alle betreten und immer wieder durchstreift, ich hatte einfach so getan, als
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