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Die Erfindung des Lebens: Roman

Die Erfindung des Lebens: Roman

Titel: Die Erfindung des Lebens: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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nein, ich wollte die absolute Nähe, das tägliche Zusammensein, den ununterbrochenen, intensiven Kontakt. Wenn ich morgens aufwachte, war mein erster Gedanke der, wann ich Clara sehen und was ich mit ihr alles an diesem Tag unternehmen würde. Die anderen Dinge traten dahinter zurück und mussten sich unterordnen, was einzig zählte, war die Feier der Liebe und damit das schöne Leben zu zweit.
     
    Dieses schöne Leben zu zweit …, ich hatte es als Lebensprogramm, in dem ich aufging und aus dem ich Tag für Tag Kraft bezog, an die Stelle des früheren, innigen Lebens mit meinen Eltern gesetzt. Aus den ersten Kinderund Jugendjahren kannte ich ja ein solches Leben, den ausschließlichen Aufenthalt im kleinen Kreis, das Sich-Abschotten von der Umgebung, die ungeteilte Aufmerksamkeit für die geliebten anderen.
    Genau diese Aufmerksamkeit und den liebevollen Blick nahm ich aber nicht mit hinüber in den römischen Liebeskokon. Viel zu selten fragte ich Clara, womit sie sich in ihrem Studium beschäftigte, und auch auf die anderen Themen, die sie sonst noch erwähnte, ging ich nie länger ein.
    Zwar bemerkte ich durchaus, dass sie in unseren Gesprächen manchmal wie blockiert wirkte und einen Anlauf nach dem andern unternahm, um mich zu erreichen, ich nahm diese Hilflosigkeit aber nicht wirklich ernst, sondern führte sie auf eine leichte Sprachstörung zurück. Diese Störung trat bei Clara immer dann ein, wenn sie rasch zwischen Italienisch und Deutsch wechseln musste, sie sprach beide Sprachen fließend, kam jedoch mit ihrer gleichzeitigen Präsenz nicht immer zurecht. Die Folge war ein kurzes Stammeln, eine Suche nach den richtigen Worten, ein Abbrechen mitten im Satz und ein neuer Anlauf, der dann meist wieder in sicheren Bahnen verlief.
    Sprach sie dagegen an einem längeren Stück Italienisch, so blieben diese Unbeholfenheiten aus, ja ich hatte sogar den Eindruck, dass sie ein besonders elegantes und müheloses Italienisch sprach, in dem sie sich besser verständigen konnte als im Deutschen. Manchmal erlebte ich, wie das Vergnügen an dieser Sprache sie umtrieb, wir saßen in einem Lokal, und sie unterhielt sich mit den Kellnerinnen, oder wir streunten durch einen Schallplattenladen, und sie brauchte über eine Stunde, bis sie mit den Verkäufern über die neusten Titel gesprochen hatte.
    Während dieser Unterhaltungen stand ich meist etwas im Abseits, ich verstand kaum ein Wort, aber ich hörte genau, wie lustvoll Clara das Italienische benutzte. Dieser Umgang entfremdete sie mir für kurze Zeit, ich hatte das Gefühl, sie verwandelte sich in eine andere Frau, ja sogar in einen ganz anderen Typ, dieses fremde Wesen kannte ich nicht, nein, ich wusste nicht, was es bewegte und woher es kam …
     
    Zwei- oder dreimal waren wir dann jedoch zusammen in die kleine Stadt ihrer Kindheit gefahren und hatten ihre Familie besucht, und wider Erwarten hatte ich mich dort sehr wohlgefühlt. Das Wohlgefühl entstand dadurch, dass Claras Eltern eine Gastwirtschaft führten und diese Gastwirtschaft mich an das Leben auf dem Land in der Gastwirtschaft meiner Großeltern erinnerte.
    Ich empfand die verblüffende Ähnlichkeit zwischen diesen beiden Orten sogar derart stark, dass ich mich vom ersten Moment unserer Aufenthalte in die Arbeitsabläufe in der Wirtschaft einordnete. Ich arbeitete in der Küche mit, ich half beim Bedienen aus, ich kümmerte mich um die deutschsprachigen Gäste aus dem Rheinland und unterhielt mich mit ihnen über ihre Ferienaufenthalte in Südtirol.
    Die Selbstverständlichkeit, mit der ich in dieses Leben hineinfand, gefiel Claras Eltern, sie sprachen immer wieder lobend und freundlich von mir, selbst die Brüder, die in Bozen und Innsbruck studierten, mochten mich, da ich nicht zu den angeblich querulantigen , sondern zu den erträglichen Deutschen gehörte.
     
    Seltsamerweise behagte es Clara jedoch nicht, dass ich mit ihren Eltern und ihren Geschwistern so leicht zurechtkam. Einmal machte sie einen Witz darüber und behauptete, ich sei längst ein Sohn der Familie, ich erschrak, als sie das sagte, und hörte sofort auf, mich nützlich zu machen. Natürlich wusste auch sie nichts von meiner Vergangenheit, natürlich nicht, ich hatte ihr nur von der Gastwirtschaft meiner Großeltern erzählt, vom Landleben dort und von den Gemeinsamkeiten mit dem Landleben in Südtirol.
    Auch das aber hörte sie gar nicht gern, denn sie verstand sich mit ihren Eltern nicht so gut wie die Brüder, ja, sie stritt sich

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