Die Erfindung des Lebens: Roman
erbrach ich mich heftig, zwei-, dreimal, in starken Schüben.
Ich habe nie in meinem Leben eine stärkere Panik erlebt als in diesem Moment, es war der Moment, in dem ich alles verloren sah. Ich verließ sofort wieder den Raum und telefonierte mit Clara, ich bat sie, den Arzttermin nun doch zu bestätigen, denn ich wollte jetzt sofortige Gewissheit.
Kaum zwei Stunden später erklärte mir ein Arzt in einer kleinen Praxis in der Nähe des Corso, dass eine schwere Sehnenscheidenentzündung vorliege, der Arm sofort geschient werden müsse und ein Spielverbot für mindestens drei Monate einzuhalten sei. Die Schiene wurde gleich angelegt und der Arm dick verbunden, am Schluss meines Besuchs fragte ich, ob dies das Ende meiner pianistischen Ausbildung sei, und der Arzt antwortete, ja, das könne durchaus das Ende sein.
Ich erzählte das Ganze dann Clara, die auf mich gewartet hatte, dabei gelang es mir, einigermaßen ruhig zu bleiben, die Erkrankung war noch nicht eingedrungen in mich, ich hielt sie noch weg von mir. Den weiteren Abend streunte ich mit Clara umher, wir kauften uns wie zur Beruhigung eine große Flasche Weißwein aus den Castelli Romani , und wir begannen, sie auf der Tiberinsel langsam zu leeren.
Der Wein half. Eigentlich durfte ich wegen der Schmerzmittel gar keinen Wein trinken, als ich aber spürte, wie beruhigend er wirkte und wie sich langsam eine gewisse Trance einstellte, wollte ich davon mehr. Clara trank nicht mehr mit, als ich eine zweite Flasche kaufte, wir saßen nebeneinander auf einer Treppe der Inselanlagen und starrten auf den vorbeifließenden Tiber, ich erinnere mich nicht mehr, was ich damals zusammengeredet habe, jedenfalls glaubte ich nach der großen Menge Wein, dass ich gerettet und der Schmerz bereits verschwunden sei.
Ich riss den Verband und die Schiene herunter, triumphierend versuchte ich Clara zu beweisen, dass ich es geschafft hatte, ich bewegte meine Finger, als spielte ich, und ich setzte mich auf den Steinboden, um mit beiden Händen auf dem Boden zu trommeln …
Das war der Anfang meines Kampfes mit der Krankheit, und es war ein Anfang, der geradezu typisch war für alles, was danach noch kam. Denn von nun an bestand mein Leben nur noch aus Gängen zum Arzt, aus Einnehmen von starken Medikamenten und aus verordneten und nicht eingehaltenen Zwangspausen. Nach jeder dieser Pausen war mein Spiel nicht mehr wiederzuerkennen, Stück für Stück verlor ich meine Fähigkeiten, bis es schließlich soweit kam, dass mir jegliches Klavierspiel für ein ganzes Jahr untersagt wurde …
Ich stand noch immer im Überaum des Conservatorio und lehnte mich ein wenig aus dem Fenster. In einem dieser Räume hatte mein Abstieg begonnen, der schließlich zum Ende meiner Karriere geführt hatte. Eine Zeitlang hatte ich noch gegen den Schmerz angespielt, doch da hatte Clara mich bereits nicht mehr vom Conservatorio abgeholt. Die Tage, an denen ich auf die Straße geschaut und mein Herz bei jedem Anblick ihrer schönen Erscheinung einen kleinen Sprung gemacht hatte, waren vorbei.
Stattdessen trafen wir uns in der Stadt und verbrachten ein paar Stunden in einer ruhelosen Anspannung. Wir sprachen nicht von der Zukunft, wir erwähnten die Krankheit so wenig wie möglich, doch wir spürten immer deutlicher, dass unsere Treffen nicht mehr so leicht verliefen wie früher.
Ich war nicht nur unzufrieden, nein, ich war verzweifelt, vermied jedoch weiter um jeden Preis, von dieser Verzweiflung zu sprechen. Von Tag zu Tag empfand ich eine stärkere Leere, gegen die immer schwerer anzukommen war. Ich wurde wortkarg, ich saß stundenlang in der Nähe des Conservatorio, ich hörte meine früheren Kommilitonen üben und brach in Tränen aus, wenn ich hören musste, wie einem von ihnen eine besonders schwierige Stelle perfekt gelang.
Der schlimmste Punkt dieses Dramas war jedoch erst erreicht, als ich aggressiv wurde und diese Aggressionen sich gegen alles richteten, was noch mit Musik zu tun hatte. Dabei kam es schließlich auch zu dem Ereignis, das meine Trennung von Clara einleitete.
Sie hatte mir eine Schallplatte gekauft und wollte mir eine Freude machen, wir trafen uns in der Nähe eines Schallplattengeschäfts auf dem Corso, und sie schenkte mir die Platte mit einem unsicheren Lächeln. Ich schaute mir an, was es war, es war eine Brahms-Aufnahme des damals gefeierten Pianisten Bruno Leonardo Gelber, ich starrte auf das Geschenk und das Siegeslächeln dieser Pianisten-Legende,
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