Die Erfindung des Lebens: Roman
ich wollte unbekannt und unentdeckt bleiben, deshalb rührte ich mich nicht und wartete, bis das Klatschen aufhörte.
Doch während ich noch durchatmete und wieder etwas ruhiger wurde, erinnerte ich mich, wie oft ich mich früher aus einem dieser Fenster gebeugt und nach niemand anderem als Clara Ausschau gehalten hatte. Sie hatte mich oft vom Conservatorio abgeholt und dann unten auf der Straße darauf gewartet, dass ich in einem der Fenster erschien, ich hatte sie rufen hören, kurz und hoch, ja, sie hatte einen kurzen und hohen Schrei ausgestoßen, den wir beide immer dann ausstießen, wenn wir dem anderen ein Signal geben wollten.
Ich griff zu meinem Hemd und rieb mir den Oberkörper trocken, jetzt dachte ich wieder an sie, verdammt, ja, ich dachte an sie jetzt so stark wie in den gesamten letzten Monaten nicht. Ich setzte mich wieder auf den Stuhl und stützte meinen Kopf in beide Hände, ich schloss die Augen. Der Geruch dieses Zimmers! Die leisen Stimmen unten auf der Straße! Der Duft aus den umliegenden Lokalen und Restaurants! Diese abendliche Auszehrung aller Geräusche! Es war kaum zu ertragen, wie mich das alles an früher erinnerte.
Ich hielt es nicht auf dem Stuhl aus, ich ging die paar Schritte zum Fenster und lehnte mich etwas nach draußen, in der Straße unten bemerkte mich niemand, nein, die Klatscher waren anscheinend bereits abgezogen. Dort unten, neben dem Schuhgeschäft, genau dort unten hatte Clara meist gestanden und zu mir hinaufgewunken: Eine schwarzhaarige, schlanke, schöne Erscheinung, meist in hellen, bunten Farben gekleidet, eine Erscheinung, der ich sofort verfiel, wenn ich sie sah, denn ihre Anziehung war so stark, dass ich nie auf den Gedanken gekommen wäre, noch eine Minute weiter zu üben.
Manchmal fasste ich nicht, dass diese Frau dort unten ausgerechnet mit mir befreundet sein sollte. Sehnte sich diese Schönheit wirklich gerade danach, mit mir zusammen zu sein? Jedenfalls behauptete sie das und sprach von uns beiden so, als stünde ein für allemal fest, dass wir uns niemals trennen würden.
Vielleicht hatten diese Wendungen mich in Sicherheit gewiegt, vielleicht hatten sie dazu beigetragen, dass ich mich niemals länger gefragt hatte, ob Clara wirklich mit unserem Leben ganz zufrieden und von ihm restlos begeistert war. Nach außen hin machte alles diesen Eindruck, und doch stellte sich später heraus, dass ich in meinem dummen, einfältigen Wahn vieles übersehen hatte. Die Vorstellung von einer absoluten und totalen Liebe hatte mich derart geblendet, dass ich immer nur die Bestätigung dieser Liebe gesucht hatte, anstatt darauf zu achten, wie es Clara in meiner Gegenwart wirklich erging und wie sie sich fühlte.
Und wie erging es ihr? Und wie fühlte sie sich? Erst später und lange nach unserer Trennung habe ich mich mit solchen Fragen beschäftigt und darüber nachgedacht, wie Clara unsere gemeinsame Zeit wohl erlebt hat …
40
ALS WIR uns kennenlernten, lebte sie zum ersten Mal in ihrem Leben von ihrer Familie getrennt. Von einem kleinen Ort in der Nähe von Brixen, wo sie zusammen mit zwei Brüdern aufgewachsen war, war sie zum Studium nach Rom gezogen. Als familiären Ansprechpartner gab es in der Ewigen Stadt die Signora Francesca, sonst aber kannte auch Clara in Rom keinen Menschen. Kaum angekommen, machte sie dann meine Bekanntschaft, ich gehörte zum Kreis der Signora und hatte daher etwas Vertrautes, außerdem imponierte ich ihr mit all meinen Vorhaben, Phantasien und meinem unbedingten Willen, ein guter Pianist werden zu wollen.
In den ersten Monaten unserer Liebe war denn auch von kaum etwas anderem die Rede, ich übte und übte und bereitete mich auf die Aufnahmeprüfung vor, daneben besuchten wir viele Konzerte, Ausstellungen und andere Veranstaltungen, meine geradezu unbegrenzte Gier nach Aktion und Bewegung kannte kein Maß, und fast immer gingen die Vorschläge, was wir als Nächstes unternehmen und erleben könnten, von mir aus.
Mein Eifer, meine Ungeduld, meine Freude über so viel Neues hatten Clara begeistert, immer wieder hatte sie gesagt, wie schön es sei, diese Begeisterung mitzuerleben, und wie sie es genieße, wenn der Funke auch auf sie überspringe. Solche Bemerkungen hatten mich stolz und glücklich gemacht, denn sie hatten in mir die Illusion genährt, in einer idealen Symbiose mit Clara zu leben.
Genau das aber war es ja, was ich suchte und wollte, ich wollte keine lose Verbindung oder eine flüchtige Freundschaft,
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