Die Erfindung des Lebens: Roman
beinahe täglich vor allem mit ihrer Mutter, die das Leben ihrer Tochter in ganz andere Bahnen lenken wollte.
Da nämlich nicht zu erwarten war, dass die Brüder die Wirtschaft einmal übernähmen, sollte das in absehbarer Zukunft Clara tun. Dem stand ihr Studium in Rom jedoch entgegen, es war ein Studium, das Claras Mutter überflüssig, ja im Grunde anstößig fand und das sie als einen offenen Affront gegen den Willen der Eltern bezeichnete.
Die Folge dieses von beiden Seiten heftig geführten Streits war, dass die Eltern das Studium der Brüder finanziell unterstützten, für Claras Studium jedoch nicht den geringsten Betrag aufbrachten. Um ihr Studium zu finanzieren, musste sie also nebenher arbeiten, und sie tat das vor allem als Übersetzerin, Dolmetscherin und Reiseführerin.
Du bist auch einer von denen , die angeblich mein Bestes wollen , hatte sie einmal zornig zu mir gesagt, als wir wieder einmal ein paar Tage in Südtirol verbrachten, und als ich versucht hatte, sie zu beruhigen, hatte sie behauptet, ihre Eltern seien zu mir so freundlich und liebenswürdig, weil sie in mir nicht einen Pianisten, sondern einen Gastwirtssohn sähen. Die wollen, dass wir beide die Wirtschaft übernehmen, sagte Clara, das wollen sie und nur das! Mein Studium, Dein Klavierspiel – das ist für die nichts als Unsinn, verstehst Du?!
So verliefen unsere Aufenthalte in ihrer Heimat jedes Mal so angespannt und gereizt, dass wir diese Besuche schließlich nicht mehr fortsetzten. Ab und zu fuhr Clara für ein paar Tage allein nach Hause, ich blieb währenddessen in Rom zurück und hütete mich nach ihrer Rückkehr, sie auf den Heimataufenthalt anzusprechen.
Später habe ich vermutet, dass sie einen Großteil ihrer starken Energien aus dem Kampf mit der Mutter und den Eltern bezog, ihnen wollte sie etwas beweisen, dafür studierte und arbeitete sie. Darüber hinaus aber blieb kaum noch weitere Kraft übrig, so dass sie in der Freundschaft mit mir eine eher passive Rolle spielte. Dass sie aber keineswegs immer so passiv war, bekam ich dann und wann mit, wenn sie in der Universität einen Vortrag oder ein Referat halten musste und mich dazu einlud.
Ich betrat einen Hörsaal und setzte mich in eine der letzten Reihen, ich wartete, bis Clara dran war, und ich erlebte zu meinem eigenen Staunen eine fließend und elegant Italienisch sprechende, rhetorisch geradezu auftrumpfende Studentin, in die wahrscheinlich alle ihre Kommilitonen heimlich verliebt waren. Man bekam den Blick nicht los von ihrem schönen, dunklen Gesicht und dem strengen Mund, von ihren knappen Bewegungen und den deutlichen Akzenten, sie sprach, als hielte sie eine Bewerbungsrede für höhere Aufgaben, ja ich sah sie bereits als junge Professorin, die auf Tagungen und Kongressen glänzte.
Der große Fehler, den ich machte, war, diesen Bildern und Eindrücken zu wenig Gewicht zuzumessen. Dazu aber trug durchaus auch Clara bei, erlebte ich doch immer wieder, wie sie sich nach solchen Auftritten an meine Seite flüchtete, ja, wie sie ihre Auftritte sogar parodierte und ironisch mit ihrem Wissen umging. Sie tat, als wollte sie auswischen oder ungeschehen machen, was ich gesehen hatte, ja, sie sprach von solchen Präsentationen wie von theatralen Vorstellungen, in denen sie nichts von dem sagen und zeigen könne, was sie in unsere Freundschaft einbrachte.
Ach, Johannes, das zählt doch alles nicht! , rief sie, und wenn ich fragte, warum es nichts zählte, legte sie mir eine Hand auf die Augen und küsste mich: Das zählt, das allein zählt, merk Dir das! Natürlich hörte ich so etwas gern, schließlich war ich süchtig danach, immer wieder Hymnisches über unsere Liebe zu hören, und schließlich war es mir recht, dass für Clara die Liebe allein zählte, denn auch mir bedeutete die Liebe ja neben dem Klavierspiel alles.
Das Klavierspiel und die Liebe gehörten aber nicht nur für mich, sondern für uns beide zusammen, Clara sprach immer wieder davon, welche Freude ihr mein Spiel und meine Auftritte in der Stadt machten. So lebte ich in der Vorstellung, dass sich letztlich wirklich alles darum drehte, und nahm Claras Studium ebenso wenig ernst wie das fremde Wesen, das fließend Italienisch sprach und sich mit anderen Menschen über ganz andere Themen unterhielt als mit mir.
Ich weiß nicht, was geschehen wäre, wenn ich wirklich mit meinem Klavierspiel Erfolg gehabt und ein großer Pianist geworden wäre. Vielleicht wären wir ja wirklich
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