Die Erfolgsmasche
verwenden. Wahrscheinlich, weil Leute unter sechzig keine Hüte mehr tragen. Was tun junge Leute eigentlich, um sich gegenseitig Respekt zu erweisen? Was würde Alex sagen? Oder Greta? Im allerbesten Fall so etwas wie: »Voll der krasse Opa.«
Ich stelle mir vor, dass alle Frauen in der Gondel aus Respekt vor Lutz ihren Helm abnehmen und ihre ramponierten Frisuren zeigen - und muss fast kichern. Angestrengt spähe ich hinaus und beiße mir auf die Unterlippe.
»Alleinerziehende Mütter sind ja nichts Besonderes mehr heutzutage«, sagt die Dame, die den Hut abnehmen wollte. »Die gibt es wie Sand am Meer. Aber dass mal ein Vater ein Kind alleine großzieht, ist wirklich eine tolle Leistung.«
Das finden auch die anderen Damen in der Gondel. Sie himmeln Lutz an, als wäre er George Clooney und nicht eine hässlichere Ausgabe von Woody Allen.
Lutz sonnt sich in der allgemeinen Aufmerksamkeit, zieht zum hundertsten Mal die Nase hoch und beginnt:
»Allein schon, wie er damals im Kindergarten so geweint hat und ich ihn vom Büro aus abholen musste.«
Der Tropfen will aber nicht in der Nase bleiben. Da kann ich ihn verstehen, den Tropfen. In dieser Nase würde ich auch nicht bleiben wollen. Die anderen scheinen sich kein bisschen vor Lutz zu grausen, sondern hören ihm andächtig zu. Ich würde ihm gern ein Taschentuch reichen, aber dann denken die womöglich, wir gehören zusammen. Schlimmstenfalls denkt es sogar Lutz!
»Als meine Frau mich verließ«, fährt er mit seinen Ausführungen fort, »da hatte ich keine Ahnung vom Kochen. Ich hatte nur ein einziges Gericht auf Lager: Nudelpfanne mit viel Knoblauch.«
Ich rümpfe die Nase.
»Das kannte ich noch aus meiner Studentenzeit und habe es dann für meinen armen vierjährigen Sohn und dessen Kindergartenfreund zubereitet. Ich selbst habe das Zeug mit viel Schnaps runtergespült, aber die Kinder haben gewürgt. Der kleine Timm hat dann in eine Blumenvase gespuckt. Ich ziehe ihn noch heute damit auf: Na Timm, soll ich mal wieder meine berühmte Nudelpfanne kochen? Ich lasse auch den Knoblauch weg! Aber heute trinkt Timm selbst schon Schnaps.«
Jetzt lachen alle. Ich auch. Aber eigentlich ist das zum Weinen: Wenn eine Mutter so was erzählen würde, wäre sie eine elende Rabenmutter. Man würde sofort das Jugendamt einschalten und sie in eine geschlossene Anstalt einweisen.
Ein Vater jedoch ist ein rührender Held. Den man einfach nur lieb haben und bewundern muss. Lutz genießt die Aufmerksamkeit und erzählt weitere Begebenheiten aus seinem Leben als Mensch.
Dann hat er sogar gelernt, eine Waschmaschine zu bedienen! Ja, wie süß! Erst ist ihm natürlich alles eingelaufen, und die Unterhosen wurden rosa, weil er sie mit einem roten Wollpullover gewaschen hat. Inzwischen wollen alle Frauen in der Gondel den Mann in den Arm nehmen und einmal feste drücken. Wie goldig, wie tapfer! Er hat Söckchen ineinandergerollt und sogar ein Hemd gebügelt! Mittlerweile hängen wir alle an seinen Lippen. Lutz genießt das und greift noch viel tiefer in die Erinnerungskiste: Er hat erst mal gar nicht gewusst, wie man einen Staubsaugerbeutel wechselt, und musste immer seine Noch-Schwiegermutter anrufen, damit sie bei ihm putzen kommt - och, wie rüüüüührend! - wir beneiden inzwischen die Schwiegermutter!! Und auch sein erster Geburtstagskuchen für den Sohn ist völlig missglückt. Er musste mit dem Küchenhandtuch auf den brennenden Kuchen einschlagen und hat sich auf den Schreck hin erst mal einen Wodka reingezogen.
Spätestens jetzt sind alle in Lutz verliebt. Was für ein entzückender Mann!
Wenn ich genau hinsehe, entdecke ich inzwischen wirklich Ähnlichkeiten mit George Clooney. Woody Allen versendet sich, je mehr er erzählt. Wie er seinem Sohn das Knie verbunden hat, als er beim Radfahren hingefallen ist. Wie er ihm abends nach der Badewanne und dem Beten noch ein Schlaflied … Und dann noch die Geschichte mit der selbst gebastelten Laterne! Mir kommen die Tränen.
Lutz erzählt immer unglaublichere Dinge. Er hat dem Sohn ganz allein das Skifahren beigebracht. An seinen freien
Wochenenden ist er mit dem Kind in die Berge gefahren! Bitte! Wie konnte diese grässliche, gefühlskalte Rabenmutter ihn nur verlassen, einen so sensiblen, feinsinnigen Mann! Und sooo schlecht sieht er auch wieder nicht aus.
Jetzt möchte ich ihm wirklich ein Taschentuch reichen, aber die Dame, die mir gegenübersitzt, bietet ihm heißen Tee aus ihrer Thermoskanne an.
Lutz trinkt
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