Die Erfolgsmasche
nur seine sich bewegenden Lippen. Er sieht eigentlich sehr nett aus, fällt mir plötzlich auf. Seine braunen Augen hinter den Brillengläsern schielen leicht, was ich irgendwie süß finde, und seine nicht mehr ganz vollen Haare kringeln sich ein bisschen über der Stirn. Wenn er sie nur nicht so uncool nach vorne kämmen würde! Vielleicht traue ich mich eines Tages, sie zu zerstrubbeln.
»Ich habe einen Entschluss gefasst«, teile ich ihm mit, als ich mich schließlich mit zwei Tassen heißem Kaffee und ein paar Keksen zu ihm setze.
»Aha«, sagt Siegfried und lässt seine Hände sinken. Gedankenverloren rührt er sich zwei Stück Zucker in den Kaffee.
»Ich werde meine Kolumnen als Mann schreiben«, verkünde ich.
»Das verstehe ich nicht«, sagt Siegfried.
Warum reißt er mich jetzt nicht an sich und schreit begeistert »Genial!«?
Ich atme scharf aus. »Als Mann! Als alleinerziehender Vater!«
»Aber Sie sind doch kein Mann«, stellt er begriffsstutzig fest.
»Nein. Aber ich werde ein männliches Pseudonym benutzen.«
»Aha«, sagt Siegfried wieder und nippt mit gespitzten Lippen an seinem Kaffee. Dabei hält er die freie Hand schützend unter die Tasse. Eine rührend spießige Geste, und in diesem Moment wird mir klar, dass ich mich niemals für Siegfried erwärmen werde. Als Freund kann ich ihn mir gut vorstellen. Aber als Mann: nein. Das ist nach Lutz schon der Zweite, den ich nicht geschenkt haben möchte. Wobei Siegfried alles in allem wesentlich appetitlicher ist. Aber eben leider so … uncool!
Ob ich jemals wieder einem Mann begegnen werde, der mich so richtig vom Hocker reißt?!
Nein. Besser, ich klammere mich nicht länger an diese törichte Hoffnung.
»Wenn ein Mann Erziehungskolumnen schreibt, ist das viel interessanter für die Leserin.«
»Ach so?« Siegfried stellt seine Tasse ab und betrachtet mich abwartend.
»Ja«, echauffiere ich mich. »Neulich bin ich mit einem wirklich hässlichen Kerl einen Tag lang Ski gefahren …« Täusche ich mich, oder erstirbt das zaghafte Lächeln meines Gesprächspartners?
»Und der hat die ganze Zeit über von seinen Heldentaten als alleinerziehender Vater berichtet. Und ob Sie es glauben oder nicht: Alle haben an seinen Lippen gehangen!« Da Siegfried so gar nicht reagiert, füge ich entschärfend dazu: »Wir haben allerdings auch ziemlich lange in der Gondel über einem Abgrund gehangen.«
Auch Siegfried scheint in einen Abgrund zu blicken. Und begreift rein gar nichts. Wahrscheinlich gucke ich genauso verständnislos, wenn er mir seinen computertechnischen Schnickschnack erklärt.
»Diese Frauenzeitschrift, für die ich geschrieben habe, hat zu 99 Prozent weibliche Leser«, setze ich Siegfried auseinander. »Und davon sind zunehmend mehr selbst alleinerziehend. Insofern finden sie es wahrscheinlich wenig prickelnd, was eine andere Alleinerziehende zu berichten hat.«
»Aha«, sagt Siegfried brav und genehmigt sich noch einen Schluck Kaffee.
»Aber wenn ein Mann ihnen von seinem Alltag als alleinerziehender Vater berichtet, wollen ihn alle heiraten«, stoße ich im Brustton der Überzeugung hervor.
Siegfried setzt leicht zitternd seine Tasse ab und schweigt. Fragend sieht er mich über seinen Brillenrand hinweg an.
»Leider habe ich keine Kinder«, sagt er schließlich ratlos.
Er schaut mich eine Spur zu intensiv an, und ich senke schnell den Blick. Nicht dass er jetzt hinzufügt: »Aber was nicht ist, kann ja noch werden.« Und mich plötzlich ruckartig an sich reißt und …
In diesem Moment höre ich den Schlüssel in der Wohnungstür. Greta stampft mit ihrem unverwechselbaren Kampfschritt in den Flur und knallt ihre Schultasche vor meine Arbeitszimmertür, bevor sie diese, ohne anzuklopfen, aufreißt.
Oh. Oje. Wenn das pechschwarzhaarige dick geschminkte Luder, das jetzt in der Tür steht, meine Tochter sein soll, dann heißt es jetzt, jedwede Überraschung und erst recht jedes blanke Entsetzen zu verbergen. Heute Morgen war sie jedenfalls noch blond. Und hatte Augen. Und keinen Pony, der ihr jetzt in dicken schwarzen Fransen über den Pupillen hängt.
»Was glotzt du so?«, wirft sie mir auch schon den ersten Ball zu.
»Kennst du Siegfried schon?«, halte ich ihn flach. »Er hilft mir mit dem Computer.«
»Ja, ja, kenn ich schon. Hi«, sagt Greta und knallt fürs Erste die Tür wieder hinter sich zu.
»War sie nicht blond?«, fragt Siegfried verwirrt.
In dem Moment fliegt die Tür ein zweites Mal auf, und Toni, ihr Klon,
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