Die Erfolgsmasche
einen Schluck, woraufhin seine Nase erst recht zu laufen beginnt. Und seine Schilderungen werden immer dramatischer: Da hat er seinen Max ganz allein in den Kindergarten gebracht! Sogar mehrmals! Also eigentlich jahrelang! Vor dem Job! Und ihn nachher wieder abgeholt!
Und ihm sogar noch die Schuhe zugebunden. Und dann noch was gekocht. Sich richtig Mühe gegeben. Am Ende hat das dem Kleinen direkt geschmeckt. Und auf Elternabende ist er gegangen. Selbst in den Elternbeirat hat er sich wählen lassen. Einmal ist er sogar auf einen Wandertag mitgegangen. Meine Herren. Das ist nobelpreisverdächtig.
Mir ist irgendwie schlecht. Ich bete, dass das Schaukeln der Gondel aufhört.
Lutz kramt in seinem lila Einteiler, den er wohl von seiner abgehauenen Frau geerbt hat, und sucht nach einem Taschentuch. Na endlich, hallelujah! Er findet ein etwa tausendmal gebrauchtes, zerlöchertes Tempo, das im Sonnenlicht staubt. Wahrscheinlich ist das auch noch von seiner Frau.
Und dann erzählt er von den lustigen Streichen seines Sohnes. Einmal hat der Max ein angebrütetes Ei auf den Toaster gelegt, weil er dachte, dann würde das Küken schneller schlüpfen. Aber das Ei ist explodiert. Na, das hat gestunken!
Die Mitfahrer in der Gondel schlagen sich auf die Schenkel vor Lachen. Die Dame nimmt jetzt tatsächlich ihren Helm ab und schüttelt ihre Locken.
Wenn das nicht eindeutig ein Balzverhalten ist! Ich hüte mich, meinen Helm abzunehmen, obwohl mir darunter entsetzlich heiß ist, aber an meinen strähnigen Haaren gibt es nichts zu schütteln. Und ich möchte um Gottes willen kein Balzverhalten an den Tag legen. Lieber ersticke ich, als dass ich den Eindruck entstehen lasse, ich sei auch nur im Mindesten an Lutz interessiert.
Meine Mitfahrer hängen nach wie vor an seinen Lippen. Sie scheinen ganz vergessen zu haben, dass wir in einer Gondel über dem Abgrund hängen. Sie alle schenken dem hässlichen Lutz ihre Aufmerksamkeit, so unappetitlich er sich auch die Nase putzt! Und so unappetitlich auch seine Geschichten sind!
Die beiden älteren Frauen nicken wissend und erinnern sich an ihre eigene Zeit mit den Kindern. Und auch das junge Snowboarder-Pärchen grinst und freut sich offensichtlich auf gemeinsamen Nachwuchs.
Was ist das bloß, denke ich, das diesem unattraktiven Mann mit Sprachdurchfall einen solch brillanten Unterhaltungswert verleiht? Wenn ich so einen albernen Quatsch erzählen würde, würde man mir die Kolumne entziehen. Was ja auch geschehen ist - Geschichten von alleinerziehenden Müttern locken anscheinend niemanden mehr hinter dem Ofen hervor.
Aber Geschichten von alleinerziehenden Vätern.
9
Ja. Das könnte ich versuchen. Das könnte funktionieren. Das ist wahrscheinlich sogar eine geniale Idee!
Wo sind meine gespeicherten Kolumnen? Verdammt! Äppel, spuck sie aus! Ich habe doch noch mindestens fünf Beiträge verfasst! Jetzt werde ich fast wahnsinnig. Wo sind sie? Ungeduldig durchwühle ich den Papierkorb, wo ich allerhand Referate von meinen Kindern finde - sieh an, sieh an, sie bedienen sich also schon wieder meines Computers, obwohl sie ihren eigenen haben. »Wirtschaftliche Integration« - das ist von Alex - und »Der Blauwal« - das ist von Greta. Aber wo sind meine Kolumnen?
Verzweifelt irre ich durch unbekannte Gefilde und finde Begriffe wie »Developer«, »Library«, »iDisk«, »Uuiuu«, »Hello Arschloch«, »USB St«, »lol«, »SchülerVZ«, »Pralle Titten«, »Zuletzt benutzt«.
Höchst beunruhigt öffne ich weitere Ordner, die Äppel mir zuvorkommenderweise anbietet.
In keinem einzigen verstecken sich meine Kolumnen, obwohl ich sie genau so abgespeichert habe, wie Siegfried mir das gezeigt hat! Und so sehe ich mich genötigt, den armen Mann schon wieder anzurufen. Ist mir das peinlich!
Allerdings scheint Siegfried auch heute nichts Besseres vorzuhaben: Kurz darauf steht er bei mir auf der Matte, wieder in seinem dunkelblauen Tuchmantel, den er etwas
zögerlich an die Tür des Gästeklos hängt. Während er sich die kalten Hände reibt und an meinem Schreibtisch Platz nimmt, mache ich ihm schnell einen Kaffee. Ich höre ihn im Arbeitszimmer rumoren und leise Selbstgespräche führen, dann hat er den Äppel wieder zur Vernunft gebracht.
»Sind sie das?«, fragt Siegfried, als ich mit dem Tablett eintrete.
Fast hätte ich ihn vor Freude umarmt! Meine Kolumnen sind wieder da! »Wie haben Sie die nur gefunden?«
Siegfried erklärt mir irgendwas, was ich nicht verstehe, und ich sehe
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