Die Erfuellung
Box stand. Nachdem er seine Arme bis zu den Ellbogen in die weißliche Flüssigkeit getaucht hatte, nahm er eine Feile von einer Schale auf einem Regal und reinigte mit raschen, methodischen Bewegungen seine Nägel, bevor er sich erneut dem Tier zuwandte.
Linda kniete sich ins Stroh und berührte die Kuh am Kopf, zögerte aber beim Klang ihrer eigenen Stimme. Doch dann vergaß sie sich selbst angesichts des Wunders, das sich vor ihren Augen ereignete.
Mit sanften, leisen Worten sprach sie auf Sarah ein und liebkoste deren Kopf, als hätte sie sie selbst großgezogen und als wäre der Mann, der ihr beim Kalben half, ihr Onkel Chris gewesen. »Ganz ruhig, Sarah, alles wird gut. Brave Sarah, jetzt hast du es fast geschafft.« Als sie aufblickte, hielt ihr Arbeitgeber zwei bebende kleine Hufe in der Hand, die Vorderbeine des Kalbes. Sie konnte nur teilweise sehen, was er tat, aber offenbar rollte er den Hautsack zurück, der das Kalb einhüllte. Es kam ihr vor, als würde er das Kleine aus einem Strumpf herausziehen. Sarah wand sich, und als er beruhigend auf sie einsprach, konnte Linda kaum glauben, dass diese Stimme dem finsteren Mann gehörte, dem sie vor wenigen Minuten gegenübergestanden hatte.
In diesem Augenblick flog die Stalltür auf. »Großer Gott, Ralph, ist ihre Zeit schon da?«, rief jemand mit starkem irischem Akzent. »Ich war oben …«
»Leise! Sei still!«
Obwohl Batley die Stimme nicht erhoben hatte, waren seine schneidenden Worte wirkungsvoller als jeder gebrüllte Befehl.
Ein alter Mann mit grauem Haar und ein kleiner Junge, der nicht älter als sieben oder acht sein konnte, näherten sich auf Zehenspitzen der Box. Wie gebannt starrten die beiden Linda an, ohne sich groß um die kalbende Sarah zu kümmern.
Verblüfft klappte der Alte den Mund auf. »Heilige Mutter Gottes!«, murmelte er schließlich.
»Onkel Shane!« Auch diesmal war Batley nicht laut geworden.
»Ist ja gut, Ralph!«, flüsterte der alte Mann zurück. »Ich bin ja schon still.«
Linda spürte unter ihren Händen, wie Sarah sich vor Schmerzen wand. Mitleid überwältigte sie, und sie biss sich auf die Unterlippe, um nicht aufzustöhnen.
»Reden Sie weiter«, drang eine leise Stimme an ihr Ohr.
Ihre eigenen Gefühle waren vergessen, als sie in Sarahs sanfte, schmerzerfüllte Augen blickte, aber ihre Stimme klang immer noch unsicher.
Als sie Ralph Batley fluchen hörte, hob sie besorgt den Kopf.
»Was ist los, Ralph?«, flüsterte der alte Mann.
»Der Kopf ist nach hinten gedreht«, lautete die Antwort.
»Heilige Mutter Gottes, brauchen wir etwa den Tierarzt?«
Er erhielt keine Antwort auf seine Frage. Fasziniert sah Linda, wie Batley seinen Arm vorsichtig bis zum Ellbogen in den Körper der Kuh schob.
Mit leisen, raschen Worten sprach sie auf Sarah ein, strich ihr über die schweißnasse Stirn und hatte sich selbst und ihre Umgebung dabei vollständig vergessen. »Ist ja gut, Liebes, alles kommt in Ordnung. Gleich ist es vorbei.«
Plötzlich gab Sarah einen sehr menschlich klingenden Seufzer von sich und sank in sich zusammen. Ihre Muskeln entspannten sich. Als sie erneute aufseufzte, tat Linda es ihr mit einem erleichterten Lächeln gleich.
Dann wischte sie sich mit dem Unterarm den Schweiß vom Gesicht.
»Nein, so was Hübsches. Die Kleine ist eine richtige Schönheit, Ralph«, jubelte der Alte.
Unterdessen gab Ralph Batley Linda mit einer Kopfbewegung zu verstehen, sie solle ihren Platz räumen. Nachdem er das Neugeborene mit einem Bündel Stroh abgewischt hatte, legte er es der Mutter neben den Kopf. Als Sarah mit ihrer schwarzen Zunge begann, ihre Tochter liebevoll abzulecken, war Linda glücklich wie selten in ihrem Leben. Zum ersten Mal hatte sie eine Kuh kalben sehen. Sie wusste, dass sie etwas Einzigartiges erlebt hatte.
Als sie die Schürzenbänder löste, merkte sie, dass der Junge und der alte Mann sie unverwandt anstarrten. Sorgfältig bürstete sie das Stroh von dem Sackleinen, bevor sie die Schürze wieder an den Nagel hängte und nach Mütze und Mantel griff. Dann wandte sie sich schüchtern um, sah die beiden ihrerseits prüfend an und lächelte. Der alte Mann erwiderte ihr Lächeln sofort, aber der Junge blieb ernst und sah sie weiter fragend an, als hätte er noch nie jemanden wie sie gesehen.
»Wie sind Sie denn hergekommen? Hat Weir Sie gefahren?« Der alte Mann strahlte sie durch das Haargestrüpp an, das sein Gesicht zum Großteil bedeckte.
Bevor Linda antworten konnte, hörte sie Ralph
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