Die Ernaehrungsfalle
Franzsander galt als Bio-Pionier mit →Bioland-Siegel und war auch →Demeter-Partner, mithin ein Vertreter der beiden angesehensten Branchenverbände. Doch dann fiel amtlichen Kontrolleuren bei
einem konventionellen Futtermittelbetrieb auf, dass dort der Name »Franzsander« auf der Kundenliste stand. Das brachte den Fall ins Rollen. 3000 Tonnen konventionelles Futter soll er an sein Geflügel verfüttert haben. Auf seinem bis dahin als Musterbetrieb geltenden Hof hatte er Tausende Puten gehalten, 180 000 →Hähnchen jährlich erzeugt und 900 000 Küken aufgezogen und weitergeliefert. Zudem hatte er 1000 Tonnen normales Fleisch eingekauft - und, so der Verdacht, als Bio-Fleisch weiterverkauft. Auch ein Hendl-Brater auf dem Münchner Oktoberfest zählte zu seinen Kunden, zudem mehrere Produzenten von →Babygläschen. Berthold Franzsander entschuldigte sich. »Ich habe Fehler gemacht, und es tut mir aufrichtig leid«, schrieb er an Abnehmer und Lieferanten.
Im Dunstkreis der Bio-Sphäre ist ein Milieu entstanden, das die Sehnsucht der Verbraucher nach Natur und ihre Bereitschaft, dafür gern Geld auszugeben, geschickt nutzt. Während die echten Ökos aber auch einen aufpreiswürdigen Aufwand treiben und viele Kontrollen über sich ergehen lassen müssen, um den Bio-Aufschlag zu verdienen, versuchen andere, so ein bisschen wie Bio zu erscheinen. Eine besonders erfolgreiche Unternehmung in diesem Öko-Dunstkreis ist die Bäuerliche Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall im Norden Baden-Württembergs. Die Vereinigung gilt als eine Art Vorzeigeprojekt, ein Modell, das beweist, wie mit Streben nach hoher Qualität auch wirtschaftlicher Erfolg und Ansehen beim Verbraucher einhergehen können. Die 1988 gegründete Vereinigung von Agrariern aus der Region Hohenlohe ist mittlerweile ein kleinbäuerliches Großunternehmen, erzeugt im Jahr über 150 000 Schweine, dazu fast 10 000 Rinder und 1700 Kälber. Gesamtumsatz: 84 Millionen Euro (2008). Das Natur-Image ist dabei eine tragende Säule des Geschäftes; tatsächlich wirtschaftet aber nur ein kleiner Teil der rund 1000 Mitgliedsbetriebe anerkannt ökologisch. Wie viele es genau sind, will die Vereinigung nicht sagen. Sicher ist: Die Tierproduktion der Schwäbisch-Hällischen Erzeugergemeinschaft als Ganzes ist, im strengen Sinne, keine richtige Öko-Veranstaltung. Es sieht nur ein bisschen so
aus. So bezeichnet sich etwa der hohenlohische Landwirt Rudolf Bühler selbst als Öko-Bauer »mit Leib und Seele«: Er bewirtschafte seinen »Sonnenhof« seit 1994 ökologisch, nach den Regeln des»Ecoland«-Verbandes. Den Ecoland-Verband hat Bühler selbst gegründet, mit anderen hohenlohischen Bauersleuten. Seine Erzeugergemeinschaft im Schwäbisch-Hällischen arbeitet zwar nicht im engeren Sinne nach den Regeln und Gesetzen für den ökologischen Landbau, erscheint aber so ähnlich. So wirbt die Erzeugergemeinschaft mit dem Bio-Siegel der EU, und auch der Werbe-Sound klingt nach Natur: Sie wollen »gesunde Lebensmittel in Verantwortung für Natur und Kreatur und zum Wohl für unsere heimischen Verbraucher/-innen« erzeugen. Dazu gehört auch ein glückliches Dasein für die Tiere: »Natürlich geben wir unseren Schweinen nur bestes und gesundes Futter zum Fressen. Verboten sind Medikamente, Wachstumsförderer, Tiermehl und andere bedenkliche Stoffe.« Immerhin besser als →Massentierhaltung, aber eben nicht Bio.
Der industrielle Arm der Bio-Bewegung produziert nicht ganz so naturnah, vor allem in den USA, dem Heimatland des Künstlichen. »Always Natural«, immer natürlich, lautet beispielsweise der Slogan der Fertigkost-Firma Fantastic Foods. Die »Always Natural«-Produktlinie floriert mit diversen Schnellgerichten à la 5-Minuten-Terrine: ein »Cha-Cha-Chili« etwa oder ein Kartoffelbrei-Ersatz namens »Stuffed Mashed Potatoes«. Die Reihe »Healthy Complements« bietet gar Fertigkost für wahre »Gourmets«: Couscous oder Risotto. »Alles, was wir machen, ist immer natürlich«, beteuert Fantastic Foods. Die Firma Cascadian Farm bringt sogar die ganze Welt auf den Teller: »Meals for a Small Planet«, plastikverpackt und für 2,79 Dollar etwa ein vegetarisches Azteken-Menü, alternativ eines in Geschmacksrichtung Cajun. Auch Mediterranes ist zu haben, alles in »Low Fat - No Cholesterol«, und »alles aus dem firmeneigenen Netz von Bio-Farmen«.
Wenn die hochwertigen Bio-Rohstoffe den industriellen Produktionsprozess durchlaufen haben, ist der Vorsprung gegenüber den
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