Die Ernte
gepresst und Crosley schmeckte bitteren Saft. Die Sporen trafen auf seine Zunge, überfluteten, brachen und verbrannten ihn. Sein Verstand war gerade dabei, zu kippen, er verband sich gerade mit dem Anderen, war schon halb dort.
»Siehst du?«, hörte Crosley den Kleinen noch brüllen, dann trieb er in den Nebel des absoluten Glücks hinüber. »Siehst du? Ich habe dir doch gesagt, dass böse Menschen da waren. Dummes Schwein!«
Dann wurde Crosley von dem feuchten Zungenkuss seines Onkels überwältigt, von der fauligen Schwarte, die ihn zur Begrüßung und zum Abschied küsste. Als die Schritte des Kindes in der Dunkelheit verschwanden, betrat Crosley auch eine Art von Dunkelheit, eine, die niemals endete und von der er auch nicht wollte, dass sie jemals enden würde.
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Nettie kroch über den Hof der Pfarre, ihren Bauch gegen die kalten, glatten Fliesen gepresst. Ihre Arme schmerzten, ihr Knöchel war dick geschwollen, ihre Knie waren blutig geschürft und in ihrem Kopf pochte ein metallischer Schmerz. Aber sie war am Leben.
Sie war vielleicht die letzte normale Person auf der Erde, aber sie war noch am Leben. Sie hörte den Lärm aus der Kirche, als diese Kreaturen ihre blasigen Hymnen zu den Dachbalken aufsteigen ließen, ihre unverständlichen Lieder sangen und alles, was gut und heilig war, schon durch ihre Existenz schmähten. Wenn sie nicht schon die Beschreibungen der Hölle aus der Bibel gekannt hätte, hätte Nettie geglaubt, dass sie verrückt geworden war. Ein Seher sollte nicht von Zweifeln geplagt sein, aber das, was sie sah, war sicherlich schon ein Blick in die Hölle gewesen.
Sie hatte die Frau des Predigers durch die Sakristei gleiten sehen. Sie hatte gesehen, wie der schlangenäugige Prediger seine Verwandlung vollzogen hatte. Sie hatte die überreifen Gemeindemitglieder den heiligen Boden auf ihren zitternden Beinstümpfen, die aussahen wie die von Leprakranken, überqueren sehen. Sie hatte gesehen und sie glaubte noch immer.
Nettie zog sich auf, so dass sie zum Sitzen kam. Sie versuche den Türknopf. Versperrt. Nettie hoffte, dass Sarah zuhause war. Das war ihre einzige Chance. Sie ergriff den Türknopf mit beiden Händen und zog sich auf die Knie. Dann klopfte sie fest gegen das Glas in der Tür.
Niemand antwortete.
In einem Flügel des Hauses war noch Licht. Vielleicht war das Sarahs Schlafzimmer. Nettie glaubte nicht, dass sie noch einen einzige Meter weit kriechen konnte. Sie klopfte noch einmal, diesmal lauter und fester. Ihr Knöchel schmerzte wie ein fauler Zahn.
Sie wollte gerade noch einmal klopfen, als sie die langen Schatten derjenigen sah, die in der Kirchentüre standen. Diejenigen, die sich umgewendet hatten. Gegen die Natur gewendet. Gegen Gott. Gegen das Licht und gegen sie.
Sie schlurften unter dem stillen Sternenhimmel die Kirchenstufen hinunter. Der Prediger selbst führte die Meute an, sie kamen über den Friedhof und dabei hatte Blevins seine dünnen Arme in Ekstase erhoben. Amanda war dicht hinter ihm, nun wieder eine gehorsame Ehefrau, nur dass sie jetzt die Kraft eines Dämons besaß. Danach kamen die Painters, schüchtern, sumpfig und mit Freude erfüllt. Der nicht identifizierbare tropfende Stängel, der einmal ein Mensch gewesen war und dem nun ein Arm fehlte, bildete das Schlusslicht.
Nettie klopfte lauter und begann zu schreien. Der Priester war schon so nahe, dass sie seinen birnenförmigen Kopf, der jetzt wie von einem grünen Leuchtdraht erhellt schien, sehen konnte. Er lächelte so, als ob sie ein Lamm wäre, das sich im Zaun eines Schlachthauses verfangen hatte. Der Moschusgeruch der anderen wehte in der taufrischen Nacht zu ihr her. Sie roch den Gestank von aufgeplatzten, gärigen Melonen und fauligem Morast.
Sie wollte gerade ein letztes Stoßgebet in den Himmel schicken, auf dass sie sterben möge, bevor sie in die Hölle auf Erden müsse, als plötzlich in einem Fenster der Pfarre ein Licht anging. Zur exakt gleichen Zeit tauchten auf der Straße die Scheinwerfer eines Pickups auf und glitten über die marmornen Zähne des Friedhofs.
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»Wartet mal kurz«, sagte Chester.
Tamara und DeWalt blieben stehen. Die beiden sahen im blassen Mondlicht wie zwei überdimensionale Vogelscheuchen aus. Emerland war mit verschränkten Armen bei seinem Mercedes stehen geblieben. Sie alle waren auf Mulls Farm und gerade dabei, wieder in die dunklen Wälder über ihnen aufzubrechen. Chester hoffte, dass die anderen drei genauso viel Angst
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