Die Ernte
hatten wie er, denn Angst wirkte wie ein mentaler Puffer, der noch funktionierte, wenn Schnaps den Dienst versagte.
Chester gab DeWalt das Gewehr und deutete in Emerlands Richtung. »Ich glaube nicht, dass er irgendwohin gehen wird, aber nur für den Fall des Falles. Bin gleich wieder da. Mir ist nämlich gerade etwas eingefallen.«
»Chester? Ich glaube, es wäre besser, wenn wir uns beeilen würden.« Tamaras Hände lagen auf ihren ausgebeulten Taschen, aus denen die Dynamitstangen wie braune Lakritze hervorstanden.
»Ich glaube, die paar Minuten könnten sich lohnen. Wir können nämlich jede Unterstützung brauchen, die wir kriegen können.«
Er ging über den Hof zu dem eingefallenen Schuppen. Mit einem Fußtritt öffnete er das Tor zur Scheune. Trockener Staub und pulverisierte Hühnerscheiße füllten seine Nase. Ein Strahl des Mondes durchstieß die Dunkelheit in der Scheune dort, wo ein paar lose Planken aus der Holzwand gefallen waren. Säcke voll Futter, Dünger und anderem Zeug waren in der Nähe der Türe gestapelt. Die dazugehörigen Spinnweben leuchteten neben den verrottenden Papiersäcken silbern im Mondeslicht.
Gegen eine andere Holzwand waren Statuen und Vogelbäder aus Beton gelehnt. Plastikeimer voll Dreck und ein paar Holzstangen bildeten hinter den Futtersäcken einen toten Wald.
Genug Zeug hier, um ein Geschäft für Gartenartikel zu eröffnen. Ich bin froh, dass ich Johnny Mack nie gesagt habe, dass er das Zeug wegschaffen solle. So wie jeder hier - außer Hattie, Gott hab sie selig – hab ich mich auch nicht um die Farm gekümmert. Und sie wäre wohl in Ohnmacht gefallen, wenn sie gewusst hätte, dass ihr jüngster Sohn hier Diebesgut versteckte. Bin ja auch nicht stolz darauf, dass ich einen verlogenen, diebischen Nichtsnutz zum Sohn habe, aber ich glaube, jetzt kann ich ihm vergeben.
Jedes Mal wenn Sylvester mit dem Bryson Futtermittelwagen auf die Farm hinaufgefahren war, damals, noch bevor er endgültig ausgezogen war, hatte Johnny Mack etwas von dem Zeug, das auf der Ladefläche war, geklaut. Es war Johnny Mack vollkommen egal, ob das Zeug irgendeinen Nutzen hatte oder nicht. Er klaute aus dem gleichen Grund wie ein Hahn, der jeden Morgen krähte: aus Freude, dass die Sonne wieder aufgegangen war.
Die Ratten hatten die Säcke mit Hirse aufgerissen und die Hühner hatten sich durch die Löcher zum Korn vorgearbeitet, bis das Getreide so alt und verbraucht war, dass nicht einmal mehr die Würmer daran interessiert waren. Die anderen Säcke waren zwar dick mit Staub bedeckt, aber fast unberührt. Chester kniete sich zu einem Stapel kleinerer Säcke. Seine arthritischen Knie rebellierten und nannten ihn einen alten Idioten, sich noch zu solchen Kunststücken hinreißen zu lassen. Er würde später noch genug Zeit haben, auf die Schmerzen zu hören. Außerdem war es ihm so oder so scheißegal.
Chester blickte durch die geöffnete Tür auf die anderen. Sie schienen sich über die kleine Pause zu freuen. Obwohl alle nervös auf und ab gingen, schien niemand wirklich darauf zu brennen, in den dunklen Wald zurückzugehen, wo der Erdmund klaffte und die Weichbirnen herum wankten. DeWalt hielt das Gewehr an seiner Hüfte wie ein Großstadtcowboy, aber Emerland schien keinen Gedanken an Flucht mehr zu verschwenden. Seitdem er einen von diesen Matsch-Zombies am Zaun seiner Baufirma gesehen hatte, war er verstummt.
Chester wischte den Schmutz von der Beschriftung der Säcke. »Dampfende Kacke«, murmelte er. »Hätte früher daran denken sollen.«
Er hob den Sack auf und der Staub wirbelte im Mondschein wie fliegende Würmer. Er war sich nicht sicher, ob der den zehn-Kilo-Sack drei Kilometer durch den Wald tragen konnte, aber er hatte das Gefühl, dass er keine andere Wahl hatte. Wenn sie das Ding, das weiß-Gott-woher gekommen war, vernichten wollten, dann sollten sie besser mit allen Waffen anrücken, die sie finden konnten.
Chester warf sich den Sack auf eine Schulter, sackte unter der Last kurz zusammen, bevor er seine Balance wiederfinden konnte. So, mit beiden Händen beschäftigt, würde er keinen Schluck aus seiner Flasche mehr nehmen können, aber der Korn hatte ihm sowieso nicht besonders gut getan. Je länger die Nacht gedauert hatte, desto nüchterner war er geworden, egal wie viel er getrunken hatte. Er hatte eigentlich mehr aus Angewohnheit getrunken, um das angenehme Brennen in seinem Hals nicht vermissen zu müssen.
»Was ist das?«, fragte DeWalt, als Chester aus
Weitere Kostenlose Bücher