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Die Ernte

Die Ernte

Titel: Die Ernte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Nicholson
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Die auserkorene Raupe hatte zwei dunkle Ringe auf ihrem Körperende, was bedeutete, dass noch zwei Wochen Schnee bevorstanden. Dennis erzählte seinen Hörern, dass die Raupe des Bärenspinners mit ihren Vorhersagen in dreiundachtzig Prozent der Fälle Recht hatte, was weit über dem Durchschnitt der staatlichen Wetterbehörde lag.
    Sogar die alten Bergweisheiten wurden schon auf mathematische Formeln reduziert. Rätselhafte grüne Lichter und innere Stimmen. Vielleicht will ja jeder an Zauberei glauben. Warum bin ich der Einzige, der das nicht kann?
    Robert schaute durch das große Glasfenster in den Senderaum. Dennis hielt zwei Finger in die Höhe. Noch zwei Minuten bis zum Schluss seiner Sendung. Noch genügend Zeit, um einen Blick auf die neuesten Nachrichten aus der Welt der Unterhaltung und des Glamour zu werfen.
    Patterson war im Gang und hielt seine dicken Ellbogen absichtlich so, dass es für Robert kein Vorbeikommen gab. Wie immer blickte er finster drein.
    Oh Gott, warum warf er nicht endlich seine Strickwesten aus Acryl auf den Müll? Darin schaute er noch mehr wie Willy Wonkas Oompah Loompahs aus als sonst.
    »Sie waren heute schon wieder zu spät, Robert«, sagte Patterson in seiner heiseren Stimme, für die die alten Damen, die WRNC hörten, so schwärmten.  Zumindest die, die ihn nicht persönlich kannten.
    »Ja. Konnte in der Früh meine Autoschlüssel nicht finden. Wird nicht mehr passieren.«
    »Das hoffe ich sehr. Übrigens, wir haben dieses Wochenende beim Frühlingsblütenfest eine Direktübertragung und ich plane, dass jemand von euch die Moderation übernimmt. Machen Sie also für das Wochenende keine Pläne.«
    »Ok«, sagte Robert und sehnte sich innerlich schon nach einer Tasse Kaffee, die in der Abstellkammer, die den Angestellten als Aufenthaltsraum diente, auf ihn wartete.  »Sie sind der Boss.«
    Er machte einen Schritt nach rechts, Patterson gab nach und ließ ihn vorbei. Pattersons finsterer Blick wurde zu einem süffisanten Lächeln. Robert hätte ihm dafür am liebsten die Fresse poliert.
    »Noch etwas«, sagte Patterson, als sich Robert gerade bei ihm vorbeidrückte. »Sie müssen den Werbespot für Petty noch einmal neu zusammenschneiden. Dawn Petty hat angerufen und sich beklagt, dass die Off-Stimme zu wenig aufregend ist.«
    Wie soll man auch eine gute Portion von Erregung in eine Werbung für ein Geschäft für Handarbeit und Nippesfiguren bekommen? Was hatte sie sich denn vorgestellt? Vielleicht Glenn Beck, der der ganzen Welt erzählt, was das für ein toller Laden ist?
    »Ok, Boss. Ich kümmere mich gleich darum.« Robert bog um die Ecke und stieß fast mit Betty zusammen, die ihre dick geschminkten Augenlider aufschlug.
    »Wann wirst du dich denn wieder darum kümmern, flüsterte sie ihm zu und drückte ihm ihre Brüste entgegen.
    »Jetzt nicht, Betty«, sagte er. Besser gesagt, nie mehr.
    Hoffte er zumindest.
    Als Dennis das Mischpult wieder an Robert übergab, roch das Mikrofon nach Aftershave und Pfefferminzbonbons für frischen Atem. Es wurde Zeit für die täglichen Todesanzeigen. Robert zeigte einen gewissen Respekt für die Toten, besonders weil er nicht zu ihnen gehören wollte. Trotzdem musste er beim Verlesen der Todesanzeigen immer ein leichtes Lachen unterdrücken.
    Vielleicht, weil er die richtige Balance zwischen dem geforderten Maß an Ernst auf der einen Seite und eloquentem Elan auf der anderen Seite finden musste. Vielleicht war es aber auch wegen der Namen der Ortsansässigen. Es könnte aber genauso gut sein seltsamer Sinn für Humor sein. Oder vielleicht war es ja das, was Tamara als "unangemessene emotionale Reaktion" bei ihm diagnostiziert hatte. Was auch immer daran schuld war, er musste manchmal kurz das Mikrofon ausschalten, um sein Lachen zu verbergen.
    Er öffnete seine Mappe und sah den Namen von dem ersten Verstorbenen. Es war Dooley R. Klutz.
    Robert spürte, dass er dringend einen Drink brauchte.
     
    ###
     
    Sylvester Mull hielt die .30-06 Springfield in seiner linken Ellbogenbeuge, während er mit seiner rechten Hand den hölzernen Kolben seines Gewehrs umklammerte. Er kauerte unter einem tief hängenden Kiefernzweig, der zu dieser Zeit zu dem wenigen Grünzeug auf dem ganzen Berg gehörte. Er jagte, obwohl gerade Schonzeit war, und trug braune Tarnkleidung. Trotzdem fühlte er sich so exponiert wie ein Pfau in einem Truthahnstall. Das verdammte Rotwild wurde mit jedem Jahr intelligenter, oder vielleicht wurde er immer dümmer.
    Letztes

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