Die Ernte
Jahr konnte er nur ein paar Böcke erlegen, einen Vierender und einen Sechsender. Da zahlte es sich nicht einmal aus, diese mickrigen Geweihe in der Moose Lodge an die Wand zu nageln. Aber er jagte sowieso nicht wegen der Trophäen, wie viele von den Bierbäuchen aus der Moose Lodge. Er wollte billiges Fleisch auf dem Tisch haben, billig oder gratis, wenn möglich. Naja, die Munition war ja heutzutage nicht gerade gratis, weil die verdammte Liberalen der Waffenindustrie immer mehr zusetzten.
Aber die Jagd war nur einer der Gründe, warum er im Wald herumschlich. Der andere war, dass er hier im Freien auf der anderen Seite des Bear Claw war, wo die Autoabgase nicht in den Augen brannten und das einzige Geräusch, das man hören konnte, der Nordwest-Wind war, der durch die Baumwipfel fegte.
Blas nur weiter, Wind. Vertreibe endlich den letzten Rest vom Winter aus unserer Gegend.
Die letzten Schneefälle waren spät und reichlich gewesen. Vielleicht bildete er es sich ja nur ein, aber er konnte sich nicht erinnern, dass das Wetter jemals so schlecht gewesen wäre. Wurde mit den Jahren immer schlechter. Und die verdammten Idioten in den Nachrichten laberten immer nur von dem Treibhauseffekt und der Erderwärmung, wenngleich doch jeder Idiot erkennen konnte, dass es immer kälter wurde.
Zu dieser Jahreszeit waren normalerweise die Zweige der Eichen und Hickorybäume schon schwer mit roten Knospen und die Sträucher waren immer schon voll mit kleinen Zweigen, die mit hellgrünen kleinen Blättern übersät waren. Aber heute war alles braun und schlammfarben, eintönig und trostlos nach dem heftigen Regen, der gestern über den Bergen niedergegangen war. Der Wind hatte die Wolken vertrieben, aber gegen Mittag hatte wieder ein leichter Schauer begonnen. Die ersten Blumen hatten uneinsichtig ihre Köpfchen durch die herabgefallenen Blätter gesteckt, Blutkraut, Hundszahn und die dünnen, bleichen Stängel des Hornkrauts. In den geschützten Niederungen lag der Nebel wie der Rauch von Kanonen über einem Schlachtfeld. Der Nebel half ihm, sich zu verstecken, und wenn er Glück hatte, dann würde ein Rehbock oder eine Geiß direkt vor seiner Nase auftauchen.
Sylvester hatte seinen Unterstand im letzten Herbst gebaut, als die Jagdsaison gerade ihrem Ende zuging. Er hatte abgestorbene Kiefernzweige übereinander geschichtet, ein paar Baumstämme lose mit Stricken aneinander gebunden und eine Plane über seinem Kopf befestigt, sodass er nicht nass würde, und diese mit Blättern bedeckt. Mit seiner braunen Kleidung und seinen braunen Haaren passt er sich gut seiner Umgebung an. Das war nach den vielen Jahren, die er hier auf der Suche nach billigem Fleisch zugebracht hatte, auch kein Wunder. Er trug keinen von diesen idiotischen, orangen Hüten, die man in der Sportabteilung von K-mart verkaufte.
Die gehörten zu den idiotischsten Dingen, von denen Sylvester je gehört hatte. Da könnte man ja gleich ein Neonschild mit der Aufschrift Hey, Wild, komm her und lass dich abschießen auf dem Kopf tragen. Verhinderte Jagdunfälle, sagen sie. Aber wenn jemand einen Mann nicht von einem Tier unterscheiden konnte, dann hatte er sowieso nichts mit einem Gewehr in einem Wald verloren.
Sylvester duckte sich in seinem Unterstand und lauschte in den Wald hinein. Nichts als der Wind und das leichte Plätschern des Regens. Aber das war gut so. Genug Zeit zum Nachdenken. Denn die Jagd war eine zeitlose Beschäftigung, heute wie gestern, egal ob gerade Jagdsaison war oder nicht. Er hätte genauso gut ein Höhlenbewohner sein können, der mit seinem Speer auf einen behaarten Elefanten wartete, oder ein Alien aus dem Weltall mit seiner Laserpistole, wie im Kino. Jagen und gejagt werden, das war es doch, worauf alles hinauslief.
Ein schlechter Tag auf der Jagd war noch immer um Längen besser als ein guter Tag in der Arbeit. Er hatte sich bei Brysons Futtermitteln, wo er als Lkw-Fahrer arbeitete, krank gemeldet und es war nicht das erste Mal, dass er nicht zur Arbeit gegangen war, um stattdessen Rotwild oder Fasane oder Eichhörnchen zu jagen.
Zum Teufel, er war ja auch in gewisser Weise krank gewesen. Krank, weil er Peggy, seine vertrottelte Frau, und seine rotznasigen Kinder, die sie ihm angehängt hatte und die den ganzen Tag mit Glotzaugen vor ihren Videospielen saßen, nicht mehr ausstehen konnte. Alle zusammengepfercht in dem dreckigen Wohnwagen, den Peggy nicht mehr putzen wollte, weil sie zu faul dafür war. Wer würde da nicht
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