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Die Eroberung von Plassans - 4

Die Eroberung von Plassans - 4

Titel: Die Eroberung von Plassans - 4 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Vorhänge aus rotem, gelb eingefaßten Kaliko hingen hinter den Scheiben und stachen neben den weißen Vorhängen des Priesters grell von der Hauswand ab. Übrigens blieb das Fenster ständig geschlossen. Als Abbé Faujas eines Abends mit seiner Mutter in Gesellschaft der Mourets auf der Terrasse war, ließ sich ein unfreiwilliges schwaches Husten vernehmen. Der Abbé, der mit verärgerter Miene rasch den Kopf hob, gewahrte die Schatten Olympes und ihres Mannes, die sich hinauslehnten und reglos mit den Ellbogen aufstützten. Er behielt einen Augenblick die Augen in der Luft und schnitt das Gespräch, das er mit Marthe führte, kurz ab. Die Trouches verschwanden. Man hörte das gedämpfte Knirschen des Fensterriegels.
    »Mutter«, sagte der Priester, »du solltest hinaufgehen; ich habe Angst, daß du dir was wegholst.«
    Frau Faujas wünschte der Gesellschaft gute Nacht.
    Als sie sich zurückgezogen hatte, nahm Marthe die Unterhaltung wieder auf und fragte mit ihrer verbindlichen Stimme:
    »Ist Ihre Schwester kränker geworden? Seit acht Tagen habe ich sie nicht gesehen.«
    »Sie hat ein großes Bedürfnis nach Ruhe«, antwortete der Priester trocken.
    Aber aus Gutmütigkeit drang Marthe weiter in ihn.
    »Sie schließt sich zuviel ein, die Luft würde ihr guttun … Diese Oktoberabende sind noch lau … Warum geht sie niemals in den Garten hinunter? Sie hat noch keinen Fuß hineingesetzt. Sie wissen doch, daß der Garten zu Ihrer vollen Verfügung steht.«
    Er entschuldigte sich, brummelte dumpfe Worte, während sich Mouret, um ihn noch mehr in Verlegenheit zu bringen, liebenswürdiger als seine Frau gab.
    »Na ja! Das habe ich heute früh auch gesagt. Die Schwester des Herrn Abbé könnte nachmittags gut und gerne herunterkommen und in der Sonne nähen, statt oben eingesperrt zu bleiben. Man könnte meinen, sie wagt nicht einmal, am Fenster zu erscheinen. Jagen wir ihr etwa Angst ein? So schrecklich sind wir doch nicht … Mit Herrn Trouche ist es genauso. Er nimmt immer vier Stufen mit einem Schritt, wenn er die Treppe hinaufeilt. Sagen Sie ihnen doch, sie möchten dann und wann einen Abend mit uns verbringen. So ganz allein in ihrem Zimmer müssen sie sich ja zum Umkommen langweilen.«
    Der Abbé war an jenem Abend nicht in der Stimmung, die Spötteleien seines Hauswirts zu ertragen. Er blickte ihn scharf an und sagte sehr unverblümt:
    »Ich danke Ihnen, aber es ist wenig wahrscheinlich, daß sie annehmen. Sie sind abends müde und gehen zu Bett. Übrigens ist das das Beste, was sie tun können.«
    »Wie es ihnen beliebt, mein lieber Herr Abbé«, antwortete Mouret, über den rauhen Ton des Priesters pikiert.
    Und als er mit Marthe allein war, sagte er:
    »Na so was! Glaubt denn der Abbé, mir ein X für ein U vormachen zu können? Es ist klar, er zittert, daß die Strolche, die er bei sich aufgenommen hat, ihm eines Tages einen schlechten Streich spielen … Du hast heute abend gesehen, wie er den Aufseher gespielt hat, als er sie am Fenster erblickte. Sie haben dagestanden, um uns nachzuspionieren. Das alles wird ein schlimmes Ende nehmen.«
    Marthe lebte in einem Zustand süßen Entzücktseins. Sie hörte Mourets Gezänk nicht mehr. Die Annäherung an den Glauben war für sie eine erlesene Wonne; langsam und ohne Erschütterung glitt sie in die Frömmigkeit; sie wiegte sich darin, schlief darin ein. Abbé Faujas vermied es immer noch, mit ihr über Gott zu sprechen; er blieb ihr Freund, bezauberte sie nur durch seinen Ernst, durch jenen unbestimmten Weihrauchgeruch, der von seiner Soutane ausströmte. Zwei oder dreimal war sie, als sie allein mit ihm war, abermals in nervöses Schluchzen ausgebrochen, ohne zu wissen warum, weil sie glücklich war, so zu weinen. Jedesmal hatte er sich begnügt, schweigend ihre Hände zu nehmen und sie mit seinem ruhigen und mächtigen Blick zu besänftigen. Wenn sie mit ihm über ihre grundlosen Anfälle von Traurigkeit sprechen wollte, über ihre heimlichen Freuden, ihr Bedürfnis, geleitet zu werden, hieß er sie lächelnd schweigen; er sagte, diese Dinge gingen ihn nichts an, darüber müsse sie mit Abbé Bourrette sprechen. Dann behielt sie alles in sich, sie verharrte schauernd. Und er nahm eine größere Erhabenheit an, setzte sich außerhalb ihrer Reichweite wie ein Gott, zu dessen Füßen schließlich ihre Seele niederkniete.
    Marthes Hauptbeschäftigungen waren nun die Messen und Andachtsübungen, denen sie beiwohnte. In dem großen Kirchenschiff von SaintSaturnin

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