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Die Eroberung von Plassans - 4

Die Eroberung von Plassans - 4

Titel: Die Eroberung von Plassans - 4 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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sprach er mit leiser Stimme weiter: »Heul doch nicht wie ein Schloßhund, man beobachtet dich. Siehst du nicht dieses Augenpaar zwischen den roten Vorhängen? Das sind die Augen der Schwester des Abbé, ich kenne sie genau. Man ist sicher, sie den ganzen Tag über dort zu finden … Siehst du, der Abbé ist vielleicht ein rechtschaffener Mann; aber diese Trouches, ich spüre, daß sie hinter ihren Vorhängen kauern wie auf der Lauer liegende Wölfe. Ich wette, wenn der Abbé sie nicht hinderte, würden sie nachts durch das Fenster herunterkommen, um mir meine Birnen zu stehlen … Wisch dir die Tränen ab, meine Gute, verlaß dich darauf, daß sie sich an unseren Streitigkeiten ergötzen. Daß sie die Ursache für die Abreise des Kindes sind, ist doch kein Grund, ihnen das Leid zu zeigen, das diese Abreise uns beiden zufügt.« Seine Stimme war voller Rührung, er selbst war nahe daran zu schluchzen.
    Marthe, der bei seinen letzten Worten das Herz blutete und die im Innersten getroffen war, wollte sich in seine Arme werfen.
    Aber sie hatten Angst, gesehen zu werden, sie fühlten gleichsam ein Hindernis zwischen sich. Da trennten sie sich, während Olympes Augen noch immer zwischen den roten Vorhängen glänzten.
     

Kapitel XI
    Eines Morgens traf Abbé Bourrette mit verstörtem Gesicht ein. Er gewahrte Marthe auf der Freitreppe, er drückte ihr die Hand und stammelte dabei:
    »Der arme Compan, es ist zu Ende, er stirbt … Ich gehe gleich hinauf, ich muß Faujas sofort sehen.«
    Und als Marthe ihm den Priester gezeigt hatte, der, seiner Gewohnheit gemäß sein Brevier lesend, hinten im Garten spazierenging, lief er zu ihm hin, wobei ihm seine kurzen Beine fast den Dienst versagten. Er wollte sprechen, ihm die traurige Nachricht beibringen; aber der Schmerz würgte ihn, er konnte sich ihm nur an den Hals werfen, die Kehle voller Schluchzen.
    »Nanu! Was haben denn die beiden Abbés?« fragte Mouret, der schleunigst aus dem Wohnzimmer kam.
    »Anscheinend liegt der Pfarrer von SaintSaturnin im Sterben«, antwortete Marthe sehr bewegt.
    Mouret verzog vor Überraschung den Mund. Er ging wieder hinein und murmelte:
    »Pah! Dieser biedere Bourrette wird sich morgen trösten, wenn man ihn als Ersatz für den anderen zum Pfarrer ernennt … Er rechnet auf die Stelle; er hat es mir gesagt.«
    Abbé Faujas hatte sich indessen aus der Umarmung des alten Priesters gelöst. Er nahm die schlechte Nachricht mit Ernst entgegen und schloß bedächtig sein Brevier.
    »Compan will Sie sehen«, stotterte Abbé Bourrette. »Er wird den Vormittag nicht überleben … Ach! Es war ein sehr teurer Freund. Wir hatten zusammen studiert … Er will von Ihnen Abschied nehmen; er hat mir die ganze Nacht über immer wieder gesagt, daß Sie allein in der Diözese Mut hätten. Seit mehr als einem Jahr sieche er dahin, und kein Priester von Plassans wage, ihm die Hand zu drücken. Und Sie, die Sie ihn kaum kannten, Sie schenkten ihm jede Woche einen Nachmittag. Er weinte vorhin, als er von Ihnen sprach … Sie müssen sich beeilen, mein Freund.«
    Abbé Faujas ging für einen Augenblick hinauf in seine Wohnung, während Abbé Bourrette in der Diele vor Ungeduld und Verzweiflung von einem Fuß auf den anderen trat; nach Verlauf einer Viertelstunde brachen sie endlich beide auf. Der alte Priester wischte sich die Stirn, rollte schier über das Pflaster, wobei er zusammenhanglose Sätze fallenließ:
    »Er wäre ohne ein Gebet gestorben, wie ein Hund, wenn mich seine Schwester nicht gestern abend gegen elf Uhr benachrichtigt hätte. Sie hat richtig gehandelt, das liebe Fräulein … Er wollte keinem von uns Unannehmlichkeiten machen, er hätte nicht einmal die Sterbesakramente empfangen … Ja, mein Freund, er war im Begriff, allein, im Stich gelassen, in einer Ecke zu sterben; er, der einen so ausgezeichneten Verstand gehabt und nur für das Gute gelebt hat.« Er schwieg; nach kurzem Schweigen sprach er mit veränderter Stimme weiter: »Glauben Sie, daß Fenil mir das verzeiht? Nein, niemals, nicht wahr? – Als Compan mich mit dem heiligen Öl ankommen sah, wollte er nicht, rief er mir zu, ich solle mich fortscheren. Nun ja, es ist geschehen! Ich werde nie Pfarrer werden. Das ist mir lieber. Ich werde Compan nicht wie einen Hund sterben lassen … Seit dreißig Jahren stand er mit Fenil auf Kriegsfuß. Als er bettlägerig wurde, hat er zu mir gesagt: ›Lassen Sie es gut sein, Fenil trägt den Sieg davon; nun, da ich am Boden liege, wird er mich

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