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Die Eroberung von Plassans - 4

Die Eroberung von Plassans - 4

Titel: Die Eroberung von Plassans - 4 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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fühlte sie sich wohl; dort genoß sie jene ganz körperliche Ruhe, die sie suchte, noch vollkommener. Wenn sie dort war, vergaß sie alles; es war gleichsam ein unermeßliches Fenster, das zu einem anderen Leben hin offenstand, einem weiten, unendlichen Leben, voll von einer Rührung, die sie ausfüllte und ihr genügte. Aber sie hatte immer noch Angst vor der Kirche; sie kam mit einem unruhigen Schamgefühl hin, mit einer Scham, die bewirkte, daß sie beim Aufstoßen der Tür instinktiv einen Blick hinter sich warf, um nachzuschauen, ob sie auch niemand beim Hineingehen sah. Dann gab sie sich hin, alles war voller Rührung, sogar die ölige Stimme Abbé Bourrettes, der sie, nachdem er ihr die Beichte abgenommen hatte, manchmal noch einige Minuten kniend dabehielt, um mit ihr über Herrn Rastoils Abendessen oder die letzte Abendgesellschaft der Rougons zu sprechen.
    Marthe kam oft niedergeschlagen nach Hause. Die Religion zerbrach sie. Rose war in der Wohnung allmächtig geworden. Sie stieß Mouret herum, schalt ihn aus, weil er zuviel Wäsche schmutzig machte, ließ ihn essen, wenn das Abendessen fertig war. Sie unternahm es sogar, für sein Seelenheil zu wirken.
    »Madame hat ganz recht, wie eine Christin zu leben«, sagte sie zu ihm. »Sie werden verdammt werden, Herr Mouret, und das wird Ihnen recht geschehen, denn im Grunde genommen sind Sie nicht gut; nein, Sie sind nicht gut! – Sie sollten Ihre Frau nächsten Sonntag zur Messe begleiten.«
    Mouret zuckte die Achseln. Er ließ die Dinge laufen, machte sich selbst an den Haushalt, fegte flüchtig aus, wenn ihm das Wohnzimmer zu schmutzig erschien. Die Kinder machten ihm mehr Sorge. Da die Mutter fast nie da war, stellten Désirée und Octave, der bei den Prüfungen zum Baccalaureat abermals durchgefallen war, während der Ferien das Haus auf den Kopf. Serge war leidend, hütete das Bett, blieb ganze Tage in seinem Zimmer und las. Er war der Liebling Abbé Faujas geworden, der ihm Bücher lieh. Mouret verlebte zwei abscheuliche Monate und wußte nicht, wie er die Familie leiten sollte; besonders Octave machte ihn verrückt. Er wollte den Wiederbeginn der Schule nicht abwarten; er beschloß, daß der Knabe nicht auf das Gymnasium zurückkehren, sondern in einem Handelshaus in Marseille untergebracht werden sollte.
    »Da du ja nicht mehr auf sie aufpassen willst«, sagte er zu Marthe, »muß ich ihnen wohl irgendwo ein Unterkommen verschaffen … Ich bin am Ende, ich will sie lieber hinauswerfen. Da ist eben nichts zu machen, wenn du darunter leidest! – Zunächst einmal ist Octave unerträglich. Er wird nie Baccalaureus werden. Es ist besser, ihm sofort beizubringen, wie er seinen Lebensunterhalt verdient, anstatt ihn mit einem Haufen Strolche herumbummeln zu lassen. Man trifft ihn immerzu in der Stadt.«
    Marthe war sehr ergriffen; sie erwachte gleichsam aus einem Traum, als sie erfuhr, daß eines ihrer Kinder im Begriff war, sich von ihr zu trennen. Acht Tage lang erwirkte sie, daß die Abreise aufgeschoben wurde. Sie blieb sogar mehr zu Hause, nahm ihr tätiges Leben von früher wieder auf. Dann erschlaffte sie von neuem; und an dem Tag, als Octave sie küßte und ihr mitteilte, daß er am Abend nach Marseille abreisen würde, war sie kraftlos, begnügte sie sich, ihm gute Ratschläge zu erteilen.
    Als Mouret von der Bahn zurückkam, war ihm das Herz schwer. Er suchte seine Frau, fand sie im Garten unter einem Laubengang, wo sie weinte. Dort machte er sich Luft.
    »Jetzt ist einer weniger da!« schrie er. »Das muß dir doch Freude machen. Du kannst dich nach Belieben in den Kirchen rumtreiben … Ich sage dir, sei ruhig, die beiden anderen werden nicht lange bleiben. Serge behalte ich hier, weil er zu zart ist und ich ihn ein bißchen jung finde, um Jura zu studieren; aber wenn er dich behindert, mußt du es sagen, ich werde ihn dir auch vom Halse schaffen … Was Désirée anbetrifft, so wird sie zu ihrer Amme gehen.«
    Marthe weinte weiter still vor sich hin.
    »Was willst du denn? Man kann nicht gleichzeitig außer Haus und zu Hause sein. Du hast dich dafür entschieden, außer Hause zu sein, deine Kinder bedeuten dir nichts mehr, das ist logisch … Übrigens muß man jetzt Platz schaffen für diese ganze Gesellschaft, die in unserem Hause wohnt, nicht wahr? Unser Haus ist nicht mehr groß genug. Es wird noch ein Glück sein, wenn wir nicht selbst vor die Tür gesetzt werden.« Er hatte den Kopf gehoben, er musterte die Fenster im zweiten Stock. Dann

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