Die erregte Republik
zum Schrittmacher der politischen Diskussion. Nicht mehr die Parteien (wie es in elitären Top-down-Modellen der Demokratie vorgesehen ist) oder die Bürger (wie es stärker demokratisch orientierte Bottom-up-Theorien sehen) formulieren die gesellschaftliche Problemagenda, sondern die eigentlich neutralen Vermittlungsinstanzen, die Medien.
In der einschlägigen Fachforschung werden für die immer größere Dominanz der Medien in der Demokratie vor allem drei mögliche Begründungen diskutiert. 36 Nach der
Substitutionsthese
haben die Medien mehr zufällig als bewusst ein Vakuum gefüllt, das die politischen Institutionen bei ihrem Rückzug aus der Organisation der öffentlichen Willensbildung hinterlassen haben. Dort, wo Öffentlichkeit nicht mehr über Parteiversammlungen, Plakate, Flugblätter und Kundgebungen auf Marktplätzen hergestellt, sondern durch Medien vermittelt wird, entwickelt sich Öffentlichkeit automatisch zur Medienöffentlichkeit, die durch die Eigengesetzlichkeiten der Medien geprägt wird. Für die USA, wo das Land groß und das Netz der Parteien traditionell dünn ist, trifft dies sicherlich zu: Die Schaffung eines starken Zentralstaats war überhaupt nur durch den Ausbau von Medienkommunikation möglich. Doch auch für Deutschland kann die Substitutionsthese Gültigkeit haben: In dem Maße, in dem die Parteien, Gewerkschaften und anderen Großorganisationen an Einfluss verlieren, in dem sich Intellektuelle und Künstler aus dem politischen Diskurs zurückziehen |63| und Eliten an Deutungsmacht einbüßen, entsteht auch hier ein Vakuum, das die Medien füllen.
Die
Instrumentalisierungsthese
sieht beim Übergang zur Mediendemokratie mehr planvolles Vorgehen am Werk. Ihr zufolge hat sich das politische System des Mediensystems bemächtigt und benutzt dieses für seine eigenen Zwecke – zum Beispiel, indem es ihm Inszenierungen anbietet, die das Mediensystem gar nicht ignorieren kann, weil die angebotenen Darstellungen zu exakt auf seine Aufmerksamkeitsregeln zugeschnitten sind, um nicht aufgegriffen zu werden. Diesem Ansatz nach kolonialisiert die Politik also zielgerichtet die Medien, um ihre eigene Reichweite zu steigern und Selbstin Fremdbeschreibungen umzuwandeln. Der verstorbene FDP-Politiker Jürgen W. Möllemann, der zu Wahlkampfkundgebungen mit dem Fallschirm absprang, oder der Sozialdemokrat Gerhard Schröder, der in Unterhaltungstalkshows und Seifenopern auftrat, sind hierfür prägnante Beispiele.
Die exakt umgekehrte Perspektive wird von der Forschung mit der
Usurpationsthese
beschrieben. Diese besagt, dass die Medien bewusst das durch den Rückzug der Politik aus vielen Teilbereichen der Gesellschaft entstandene Vakuum gefüllt haben. Sie bemächtigen sich also der öffentlichen Willensbildung, um entweder politisch-ideologische Positionen zu propagieren oder – Berlusconi ist dafür ein Beispiel – ihre kommerziellen und machtpolitischen Interessen abzusichern. Ein Indiz hierfür ist die Tatsache, dass immer mehr Journalisten als Talkshow-Gäste auftreten und Fernsehanstalten und Zeitungen Wahlkampfveranstaltungen wie Fernsehduelle oder sogenannte Print-Gipfel organisieren.
Letztlich lassen sich alle drei Thesen nicht trennscharf voneinander abgrenzen. In Gesellschaften, deren verschiedene Sektoren immer enger zusammenwachsen, spielen die Medien |64| als Vermittler des Informationsaustauschs automatisch eine größere Rolle als in lokal geprägten, nur lose miteinander verknüpften Gesellschaften. Und natürlich versucht die Politik, Einfluss auf die Medien auszuüben, wie auch die Medien versuchen, eine größere politische Deutungsmacht zu gewinnen. Was auch immer auf welcher Entwicklungsstufe der Auslöser zu einem Veränderungsschub gewesen sein mag: Alle Zeichen deuten darauf hin, dass die Medien weiterhin an Macht über die Aushandlung der alle betreffenden Fragen gewinnen.
Insofern beschreibt der Begriff der Mediendemokratie eine neue politische Grundkonstellation, nämlich ein System, in dem die Legitimationsansprüche der Demokratie, also größtmögliche Inklusion, das Abwägen aller Argumente und das Suchen nach Ausgleich, in Widerspruch zur Diskurssetzungsmacht der Medien geraten, die für sich in Anspruch nehmen, die gesellschaftliche Themenagenda zu bestimmen. Mediendemokratie ist damit dem Politikwissenschaftler Thomas Meyer zufolge eine Form politischer Willensbildung und Entscheidungsfindung, »in der die Massenmedien und ihre Kommunikationsregeln eine
Weitere Kostenlose Bücher