Die erregte Republik
Bilder, welche die Politik erzeugt, als Versatzstücke, um daraus eine eigene, medial erzeugte und mediengerechte Realität zu destillieren, die der marktorientierten Präsentationslogik der Medien entspricht. Das aber bedeutet: Vereinfachung, Entkontextualisierung, Vereindeutigung, Popularisierung und Personalisierung unter Ausblendung der dahinter stehenden komplexen Strukturen und Akteurskonstellationen. Skandalisierung, Familiarisierung, Polarisierung, Melodramatisierung, und Boulevardisierung werden zu den dominanten Gestaltungskriterien, an denen sich die Berichterstattung orientiert und die die Inszenierung von Medienberichten steuern.
Der den eigenen Regeln folgende Präsentationsmodus der Medien prägt zunehmend die Bilder von Politik in den Köpfen der Menschen. Politik, eigentlich das Produkt von Gremienbeschlüssen, Redaktionsgruppen, Fachausschüssen und Präsidiumsentscheidungen, wird zunehmend an einzelnen Personen aufgehängt. Schon dies bedingt Veränderungen nicht nur in der Darstellung des Politischen, sondern auch in dessen Substanz: Wenn die Inszenierung die Inhalte verdrängt, Medienberichterstattung immer zeitgeistiger auf der gerade höchsten Welle surft, wenn die Nachrichtenfaktoren sich einseitig Richtung Sensationalismus, Scheinkonflikt, Personalisierung und Popkultur orientieren, dann hat es die seriöse Politik, bekanntermaßen das beharrliche Bohren dicker Bretter, schwer. Thomas Steg urteilt aus seiner Erfahrung als Regierungssprecher: »Heute wird noch ein Orden verliehen für das Bekenntnis, die Steuern zu senken – und morgen stellt sich per Ted-Umfrage heraus, dass der Staat weiterhin für alles zuständig sein soll.« 42
|73| Horse-Race-Journalismus
Vor nicht all zu langer Zeit waren diese dem Politischen so gar nicht zuträglichen, rein am Oberflächlichen und Visualisierbaren orientierten Aufmerksamkeitsfaktoren vor allem für die Berichterstattung des Privatfernsehens und die Boulevardpresse handlungsleitend. Seit einigen Jahren werden sie für alle Medien bestimmend. Dies führt zwangsläufig zu einem Qualitätsverlust der politischen Berichterstattung, da immer weniger der politische Nachrichten- und immer mehr der mediale Unterhaltungswert in den Mittelpunkt rückt. Der Schwerpunkt der Berichterstattung, auch in der seriösen Presse, verschiebt sich von den politisch verhandelten Inhalten hin zur Bewertung der Politikinszenierung. Typisch für diese Form des Journalismus ist das Verteilen von Haltungsnoten: Minister X macht in Krise XY eine souveräne Figur, Minister Z dagegen versagt total. Zudem werden strategisch-taktische, tendenziell an Machterwerb und -erhalt ausgerichtete Fragen an immer zentralerer Stelle verhandelt: welche Parteizentrale sich wie aufstellt, welche Themen unter welchem Politiker nach vorn gebracht werden sollen und was sich welche Partei davon angeblich erhofft. Dies entspricht der allgemeinen Unterstellung, dass es Politikern ausschließlich um Macht geht. Eine hoch personalisierte, rein an Machtarithmetik orientierte Berichterstattung überlagert so mehr und mehr die Erklärung von Fachthemen. Bei der Begleitung von Wahlkämpfen wird die sogenannte Horse-Race-Berichterstattung zur stereotypen, in allen Medien exzessiv betriebenen Stilform. Dort wird, in der Regel gestützt auf die neuesten demoskopischen Daten, darüber berichtet, welche Partei gerade vorne liegt und welchen kommunikativen Strategien sie dies zu verdanken hat. Was in den Programmen der Parteien steht, warum diese die Macht |74| anstreben und wie sich ihre Spitzenkandidaten zu einzelnen Themen positionieren, findet dagegen kaum Erwähnung. Oft nehmen die Medien in Wahlkämpfen eine gelangweilte Haltung der Pseudo-Unbeteiligtheit ein und geben den Schiedsrichter beim Schaulaufen der Spitzenkandidaten. Dabei erhöhen sie freilich kontinuierlich den Aktionsdruck, der auf der Politik lastet: Erst drängen sie Politiker zum Handeln, dann lehnen sie sich zurück und schauen zu, wie diese sich abstrampeln. Das Ergebnis wird oft als fauler Kompromiss, Durchwurstelei oder symbolischer Aktionismus diskreditiert – ganz so, als ob die Medien damit nie etwas zu tun gehabt hätten. Der französische Soziologe Pierre Bourdieu hat die Auswirkungen der von Journalisten mit der Berufung auf die Erwartungen des Publikums gerechtfertigte Form der rein personalisierten, auf Konfliktthemen und Schwarzweißmalerei reduzierten Berichterstattung in seinem wütenden Traktat
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