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Die erregte Republik

Die erregte Republik

Titel: Die erregte Republik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thymian Bussemer
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Fernsehen
schonungslos analysiert: »Die Journalisten (…) tun nichts anderes, als ihre eigenen Neigungen, ihre eigene Optik auf dieses [das Publikum] zu projizieren; und zwar ganz besonders dann, wenn ihre Angst zu langweilen sie dazu treibt, den Streit der Debatte, die Polemik der Dialektik vorzuziehen und alles daranzusetzen, daß die Konfrontation von Personen (namentlich Politikern) gegenüber der Konfrontierung ihrer Argumente die Oberhand gewinnt – gegenüber dem also, worum es dabei eigentlich geht, sei es das Haushaltsdefizit, die Steuersenkung oder die Auslandsverschuldung. Da ihre Kenntnis der politischen Welt im wesentlichen mehr auf persönlichen Kontakten und vertraulichen Mitteilungen (ja Gerüchten und Klatsch) beruht als auf durch Beobachtungen oder Recherchen erworbener Sachkenntnis, tendieren sie nämlich dazu, alles auf die eine Ebene zu bringen, auf der sie sich auskennen. Und so interessieren sie sich weit mehr für das Spiel und für die Spieler als für den |75| Einsatz, mehr für rein taktische Fragen als für die Substanz der Auseinandersetzungen, mehr für den Effekt, den Äußerungen in der Logik des politischen Feldes (der Logik von Koalitionen, Bündnissen oder Konflikten zwischen Personen) auslösen, als für ihren Inhalt.« 43
    Die rastlose Republik
    Der Berliner Historiker Thomas Mergel hat in einem lesenswerten Aufsatz eine originelle Begründung für die immer weiter zunehmende Dominanz der Medien über andere Gesellschaftsbereiche skizziert. Mergel weist den Medien in der Demokratie eine einmalige Funktion zu: Während andere Teilbereiche der Gesellschaft konkrete Leistungen wie die Bereitstellung von Produkten, das Zirkulieren von Geld, das Sprechen von Recht oder das Heilen von Krankheiten erbringen, ist es die Aufgabe der Medien, die verschiedenen Bereiche der Gesellschaft fortlaufend zu beobachten und diese so über sich selbst zu informieren. Um das erfolgreich tun zu können, muss das Mediensystem offen für die Funktionsweise anderer Systeme sein, an diese schnell Anschluss gewinnen können und die dortigen Gepflogenheiten verstehen lernen. Ein Wirtschaftsjournalist muss Bilanzen lesen können, ein Medizinjournalist etwas vom menschlichen Körper verstehen. Gleichzeitig aber verteidigt dieses vegetativ so offen gestaltete Mediensystem seine eigene Funktionslogik geradezu radikal, indem es alles nur nach einem Kriterium bewertet: ob es zur Veröffentlichung relevant ist oder nicht. Das Mediensystem bewahrt also in der Interaktion mit anderen Gesellschaftsbereichen seine Eigenständigkeit durch Beharren auf seinem eigenen Code. Dies aber bedeutet: Die Medien unterwerfen jene Bereiche, die sie beobachten, |76| im Zuge der Beobachtung ihrer eigenen Funktionslogik. 44
    Grundlage für diesen Mechanismus ist das, was Niklas Luhmann »Beobachtungen zweiter Ordnung« genannt hat: Die Politik beobachtet in den Medien, ob sie aus ihrer Beobachtung der Gesellschaft die richtigen Schlüsse gezogen hat. Bekommt sie dort Zustimmung für ihre Handlungen, lag sie offenbar richtig, bekommt sie Schelte, lag sie falsch. Die Medien sind also neben Wahlen und Umfrageergebnissen der primäre Resonanzboden für die Selbstüberprüfung politischen Handelns. Das gleiche gilt umgekehrt: Wenn die publizistischen Einlassungen der Medien zu politischen Debatten oder Korrekturen politischer Vorhaben führen, wenn sie gar von Politikern zitiert und als Beispiel angeführt werden, wissen die Medienmacher, dass sie ihre kommunikativen Interventionen richtig gesetzt haben. Deswegen beobachten die Medien unablässig die Politik dabei, wie diese die Medien beobachtet. Und natürlich beobachten einzelne Medien, wie andere Medien die Politik beobachten, während einzelne Politiker die Medien dabei beobachten, wie diese andere Politiker beobachten. So entsteht ein geschlossenes Diskurssystem, in das nur noch wenige Außeneinflüsse gelangen. Die Publizistin Carolin Emcke schrieb besorgt: »Mehr als das Internet schreckt mich die zunehmende Neigung unserer Zunft, sich angstvoll mit sich selbst zu beschäftigen, und darüber die Auseinandersetzung mit der Welt zu vernachlässigen. Diese Tendenz, die Wirklichkeit nur noch als Material für Texte oder Filme zu verstehen, also letztlich ›Armut‹ bloß für eine Rubrik zu halten, gehört zu den beunruhigendsten Deformationen des gegenwärtigen Journalismus und scheint mir schädlicher als jeder Konkurrenzdruck der Netzgemeinde.« 45
    Seit den 1980er-Jahren geriet

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