Die erregte Republik
erfolgreich war. Ihnen zufolge war er der erste »Parteikanzler« der Bundesrepublik. Anders als Konrad Adenauer und Helmut Schmidt, die »Staatskanzler« waren, und Ludwig Erhard, der sich als »Volkskanzler« begriff, wollte Helmut Kohl nie Kanzler aller Deutschen sein, sondern Regierungschef eines CDU-geführten Kabinetts. Dies enthob ihn der Notwendigkeit, Zugeständnisse nach links zu machen und seine Basis über das unmittelbare Milieu der CDU/CSU hinaus |95| zu verbreitern. Es erlaubte ihm im Gegenzug, jenes Kernmilieu, das er bediente, über Jahre hinweg nicht zu enttäuschen. Er konnte sich eindeutig zu seinem Koalitionspartner FDP bekennen und diesen damit fest an sich binden. Mit dieser polarisierenden und doch immer wieder in die gesellschaftliche Mitte ausgreifenden Strategie war Kohl anderthalb Dekaden unschlagbar. 60 Doch die Linke verstand diese Geschichtsstrategie lange nicht und hielt Kohl die gesamten 1980er-Jahre hindurch für einen Betriebsunfall.
Die Einheit 1989 brachte dann die Wende in der Wahrnehmung des ewigen Kanzlers. Plötzlich galt er auch den liberalen Medien als großer Staatsmann. Sogar seine offensichtlichen Schwächen wurden zu Stärken umgedeutet. Seine Provinzialität galt nun als authentisch. Dies waren die besten Jahre des Kanzlers Helmut Kohl. Mitte der 1990er-Jahre gab es einen erneuten Bruch. Je länger Kohl regierte, desto strikter er sich abschottete, umso mehr wurde ihm seine unbeirrbare und unbelehrbare Haltung trotz seiner neuen Rolle als Staatsmann von Weltrang zum Handicap. Kohls klares »right or wrong my country«, die ideologische Halsstarrigkeit, die ihm dann in der CDU-Spendenaffäre endgültig zum Verhängnis wurde, weil er sich weigerte anzuerkennen, dass auch ein scharf ausgetragener Konflikt mit den »Sozen« in der Demokratie auf dem Boden des Rechts stattfinden muss, machte ihn blind für das Heraufziehen neuer Kommunikationsverhältnisse, in denen die traditionelle Rechts-links-Verortung nicht mehr die ausschlaggebende Rolle spielte. »In einem gewissen Sinne«, schreibt Gunter Hofmann, »ist Helmut Kohl stehen geblieben in den Adenauer-Jahren, hat die liberale Kommunikationswelt, die zum Lagerdenken der Volksparteien nicht passte, nie wirklich akzeptiert, vor allem aber hat er an den ›Medien‹ festgemacht, dass ihm ein Stück letzter Anerkennung immer versagt |96| blieb, gerade in der Welt jener ›Bürgerlichkeit‹, zu welcher der Pfälzer aus den kleinen Verhältnissen nicht gehörte.« 61
Am Ende war es nur die lange Dauer seiner Amtszeit, die seine Gegner in den Medien auf Distanz hielt. Der Respekt vor Kohl, das wurde erneut angesichts der Würdigungen zu seinem 80. Geburtstag im Frühjahr 2010 deutlich, resultierte vor allem aus seiner Beharrungskraft. Die letzten Jahre seiner Kanzlerschaft waren die Zeit, in der sein Pressechef Eduard Ackermann verkünden konnte, Kohl sei »in der Rolle des Kanzlers auch seine eigene Botschaft«. 62 Doch damit entpolitisierten Kohl und sein Ackermann den Machtbesitz. Weil nur noch der Erfolg, vulgo der Machterhalt, zählte, und Kohl immer Erfolg hatte, musste er irgendetwas richtig machen, das die Medien nicht verstanden, das ihnen aber einen gewissen Respekt abnötigte. So sahen es auch die Kohlianer selbst. »Kohl hat die Medien entzaubert«, befand der damalige RTL-Chef Helmut Thoma. Ähnlich feierte der konservative Publizist Johannes Gross Kohls Sieg über die »Hamburger Mafia« von
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und
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, als hätte er selbst nie mit dieser zu tun gehabt. Tatsächlich hatte Gross 1983 Chefredakteur des
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werden wollen, seine Bewerbung aber nach einer gegen ihn gerichteten öffentlichen Kundgebung in Hamburg von mehr als 2000 Journalisten und Sympathisanten, die um die linksliberale Ausrichtung der Hamburger Zeitschrift fürchteten, zurückziehen müssen. Jahre später bekannte Gross befriedigt, die Zeiten, wo
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und
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»die intellektuelle Meinung in Deutschland steuern« konnten, seien nun zum Glück vorbei. Kohl präzisierte genüsslich: Nicht die intellektuelle Meinung, sondern »das, was sie als intellektuelle Meinung verkauft haben«. 63 Zehn Jahre, von der deutschen Einheit bis zum Jahr 1999, hielt bei Kohl und seinen Getreuen dieses Siegesgefühl trotz der schließlichen Wahlniederlage 1998 an, dann holte sie die CDU-Spendenaffäre ein und |97| machte aus dem Altkanzler, der sich beharrlich weigerte, sein Fehlverhalten anzuerkennen, selbst in der eigenen Partei eine
persona non grata
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