Die erregte Republik
und Wolfram Weimer an. Sie sind die prägenden Figuren des heutigen Journalismus in Deutschland. Was sie von ihren Vorgängern unterscheidet, ist eine größtmögliche Flexibilität in den politischen Positionen bei maximaler Ausprägung des eigenen Sendungsbewusstseins. Zwar wirken herkömmliche politische Verortungen durchaus nach und dienen noch als zumindest lose Orientierungsmarken im Diskurs, doch wirklich enge Bindungen an die Politik und einzelne Parteien haben die wenigsten der heute tonangebenden Medienmacher. Natürlich nehmen auch sie engagiert an Kontroversen teil, doch immer häufiger scheint es vor allem um die Inszenierung der Kontroverse um ihrer selbst willen zu gehen. Nicht nur das Feuilleton der
F.A.Z.
unter Frank Schirrmacher hat ein feines Händchen für Großdebatten, auch der
Spiegel
und die
Süddeutsche
tun sich hier zunehmend hervor. Dabei können die verhandelten Themen politisch sein, sie müssen es aber nicht. Die einstmals so betuliche
Zeit
hat schon vor Jahren die Esoterik, das Bunte und den Lifestyle entdeckt. Während der langjährige
Zeit
-Chefredakteur Theo Sommer die Titelseite des |137| Blattes dazu nutzte, diese im Stil eines Gymnasialprofessors des 19. Jahrhunderts mit seinen langatmigen, aber durchaus beeindruckenden außenpolitischen Analysen zu füllen, baute sein Nach-Nach-Nachfolger Giovanni di Lorenzo die Seite eins der
Zeit
so um, dass diese nun einem kleinteiligen Magazincover gleicht. Statt Analyse und Belehrung gibt es hier nun Lebenshilfe und Bekehrung. Titelthemen: »Was ist ein guter Arzt?« (Ausgabe 17/2010), »Der Mythos vom guten Essen« (Ausgabe 21/2010), »Was ist Leben?« (Ausgabe 22/2010), »Wo seid ihr, meine Jünger? (Ausgabe 26/2010), oder – zum Bild blutiger Steaks – »Lasst das!« (Ausgabe 33/2010). Wenn di Lorenzos Blatt heute wissen will, was in der SPD von der Ära Müntefering bleibt, wird dies in der Form einer Homestory bei Franz und seiner neuen Ehefrau Michelle abgehandelt. Und beim
Spiegel
wetteifert eine Truppe rasant schreibender Reporter seit geraumer Weile um das schrägste und subjektivste Politikerporträt des Jahrzehnts. Porträtierender und Porträtierter begegnen sich in diesen Stücken auf Augenhöhe – Ausdruck für einen hippen Journalismus, der weder sich noch die Politik ganz ernst nimmt und die politische Kontextualisierung komplett dem angestrebten Sound der Story und einer jeglicher Außeneinflüsse entkleideten Personalisierung unterordnet.
Ende der Ideologien?
Mit dieser Verdrängung des Inhalts zugunsten der Form ging ein anderer Prozess einher, der den deutschen Journalismus gründlich verändern sollte: das Aufbrechen des einstmals parteipolitisch ausgerichteten Personalproporzes in den Redaktionen und die Auflösung der zumindest tendenziellen Zuordnung einzelner Medien zu bestimmten politischen Parteien. |138| Die großen Redaktionen von
F.A.Z.
bis
Spiegel
hörten ab den 1990er-Jahren damit auf, bei der Besetzung von Schlüsselstellungen die Schlachtordnung der Politik in ihren eigenen Reihen abzubilden, der politische Journalismus emanzipierte sich mehr und mehr von parteipolitischen Verortungen. Doch was an die Stelle der überkommenen, an den Parteien orientierten Grenzziehungen trat, war nicht unbedingt ein Fortschritt, denn diese neue Formation hatte ein unüberhörbares neoliberales Grundrauschen. Richard Meng stellte schon zwei Jahre nach der Milleniumswende fest: »Im denkmodischen Berlin verwischten sich (…) zunehmend die alten politischen Grundausrichtungen der einzelnen Medien bei der aktuellen Kommentarlinie. Die redaktionsinternen politischen Spektren wurden breiter, die Wahrnehmungsrichtungen ähnlicher, einhergehend mit einem Entpolitisierungsprozess gemessen an den Maßstäben des alten, konflikt- und institutionenbezogenen Politikbildes, einer parallelen innermedialen Entwicklung zum politischen System Schröder. Es wird eher weniger der Inhalt, häufig immer mehr allein der Stil beschrieben und bewertet – und nicht selten für den Inhalt gehalten, manchmal sogar in einem unbewusst übergeordneten Sinn objektiv zu Recht.« 103 Dieser Orientierungs- und Standpunktverlust, in dem Ästhetik und ein vom Lifestyle geprägter Subjektivismus mehr zählen als die profunde Kenntnis der Vorgänge im politischen Raum, ist vermutlich das größte Desiderat der Berliner Medien- und Politikwelt. Dadurch, dass heute von den Medien fast alles zynisch ironisiert wird, entsteht bei den Lesern und Zuschauern das
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