Die erregte Republik
diesem Sinne ist die Kritik der Medien an der Politik stets ubiquitär gewesen, folgte immer denselben Mustern, ganz gleich, wer gerade regierte. Ständig sahen die Medien das Land in der Krise, permanent war die amtierende Regierung unfähig, die Probleme entschlossen anzugehen. Gunter Hofmann notierte im Jahr 2004: »In der politischen Klasse ist seit Jahren das Bild eines Landes gezeichnet worden, das sich jeder ›Modernisierung‹ verweigert, das sich festklammert am Status quo und das immer tiefer in der Krise versinkt. Richtig ist, dass sich die Wirklichkeit, im armen, ›proletarischen‹ Osten wie im wohlhabenden, auf scheinbar ewiges Wachstum vertrauenden Westen, dramatisch wandelte. Nur leider vollzog sich das nicht als Event, Anomien einer Gesellschaft sind nur schwer mediengerecht zu verpacken, und Entertainment-Stoff für TV-Talks lieferten sie auch nicht so recht. (…) Gleichwohl widersprach jede Alltagserfahrung dem Eindruck, in der Republik bewege sich nichts. Doch seltsamerweise wurde dieser Eindruck gepflegt – besonders gerne von den Medien, die doch eigentlich vom liberalen Geist einer Gesellschaft leben. Nein, hieß es, die Bundesrepublik habe ausgedient, wenn sie nicht den ganz großen Wurf riskiere, das ganz neue Einfachsteuersystem, den flachen Staat, den Hire-and-fire-Arbeitsmarkt.« 106
|142| Entsprechend klangen die Urteile der Medien über die politische Klasse immer gleich: Die Regierung? Handlungsunfähig, mutlos, durchsetzungsschwach. Das politische Personal? Antriebslos, auf die Verteidigung des Status quo und der eigenen Privilegien fixiert. Stets wurde gegen die Kleinteiligkeit der bundesrepublikanischen Konsenspolitik der große, befreiende Schnitt gefordert, radikale Zumutungen im Dienste einer nicht näher definierten Zukunftsfähigkeit. Die ständig vorgenommenen Korrekturen, zum Beispiel an den Sozialsystemen, in der Zuwanderungs- und Bildungspolitik, wurden dagegen nicht beachtet oder fanden keine Anerkennung, weil dies langsame Prozesse waren, die sich medial nur schwer abbilden ließen, nur selten große Knalleffekte produzierten und deren Umsetzung über die verschiedenen Ebenen des Föderalismus nur langsam voranschritt. »Reformprojekte«, befand Richard Meng 2002, »sind schon weit im Vorfeld des eigentlichen Entscheidungsprozesses medial uninteressant geworden.« 107
Der auf die Umwälzung alles Bestehenden abzielende, prototypisch in Ruck-Reden und »Du bist Deutschland«-Kampagnen zum Ausdruck kommende Modernisierungsdiskurs der Zeit nach der Jahrtausendwende ist dabei keineswegs vom Himmel gefallen, sondern von einflussreichen Eliten, gerade in den Medien, bewusst gesteuert worden. Zum Wortführer dieser Richtung wurde eine schmale Gruppe von Elitepublizisten, in letzter Zeit auch Alpha-Journalisten genannt 108 , die selbst über Prominentenstatus verfügt. Zu ihren bekanntesten Vertretern zählten Stefan Aust und Gabor Steingart beim
Spiegel
und Hans-Ulrich Jörges beim
stern
. Diese Alpha-Journalisten sahen sich jenseits der Ideologien angekommen und meinten, nur dem sachlich Gebotenen, den unausweichlichen Zwängen des Tina-Prinzips verpflichtet zu sein. Sie waren zu ihren Hochzeiten |143| Weltökonomen, Politikdeuter und politische Aktivisten in Personalunion. Der Duktus des von ihnen gepflegten Diskurses war zahlenbasiert, auf die Überzeugung durch Daten und Fakten ausgerichtet, wobei freilich nur jene Beweise zum Einsatz kamen, die in das Weltbild der Radikalreformer passten. Unvergessen sind Gabor Steingarts Elogen auf den »glühenden Kern der Volkswirtschaft«, jene hoch produktiven Bereiche der deutschen Ökonomie, die angeblich von einem Ring unproduktiver Arbeit und einem überbordenden Sozialstaat eingemauert sind, der die Volkswirtschaft erdrosselt. Die bundesrepublikanische Geschichte zeichnete Steingart in einem Buch als »Chronologie des Niedergangs«, zurückzuführen maßgeblich »auf ehrgeizige Ministerpräsidenten und westliche Alliierte, die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges den entscheidungsschwachen Anti-Führer-Staat schufen«. 109
Zu erheblicher Prominenz gelangten zu jener Zeit Leute wie Hans-Olaf Henkel, Hans-Werner Sinn und Arnulf Baring, die schon in den 1990er-Jahren damit begonnen hatten, eine Art Nadelstreifen-APO zu organisieren. Denn sie sprachen aus Sicht der Medien endlich die unbequemen Wahrheiten aus, boten statt diskursiver Konsenssuche Klartext an und forderten schmerzhafte Einschnitte in den angeblich wuchernden
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